Buddy Guy, Skin Deep
Die neuste CD von Buddy Guy ist erschienen. Das heisst, einer der massgeblichsten und einflussreichen Blues-Musiker der Gegenwart hat ein neues Studio-Album veröffentlicht. Diese CD zu rezensieren ist extrem schwierig, denn sie ist beim einen Anhören relativ langweilig, kann beim nächsten Anhören aber auch sensationell mitreissend sein. Wie so häufig hängt es von der Stimmung ab, in der man sich beim Hören befindet, ob einem diese CD gefällt oder nicht. Es hängt aber auch davon ab, welchen Buddy Guy man mag. In der langen Karriere hat er verschiede Reinkarnationen seiner selbst auf Tonträger gebannt, und je nachdem, welchen Buddy Guy man liebt, kann diese CD perfekt sein oder ein Missgriff. Ihr merkt schon, geneigte Leser: dies wird eine längere Rezension. Im nächsten Abschnitt folgt eine kurze Rekapitulation Buddy Guys.
Da gibt es zum einen den akustischen Buddy Guy von Muddy Waters Folk Singer oder von seinen unter eigenem Namen (Blues Singer) sowie zusammen mit Junior Wells veröffentlichten Alben Buddy and the Juniors, Alone and Acoustic sowie Last Time Around. Es gibt den Buddy Guy der Chess-Solo-Aufnahmen. Dann gibt es den 70er-Jahre Buddy Guy, der effektiv oft als Gitarrist Junior Wells' auftrat. In den 90er-Jahren gab es dann mit dem Wechsel zum Label Silvertone (gehört heute zu Sony BMG) viel frischen Wind, neuen Erfolg und damit die grosse Zeit von Feels Like Rain und Damn Right I've Got The Blues. Auf diesen Alben hat Guy seine ganz persönliche energiegeladene Ausdrucksform des Blues gefunden, die er dann auf den folgenden Alben Slippin' In, Heavy Love, Sweet Tea und Bring 'em In weiter praktiziert hat. Sein Stil blieb selbstverständlich im Blues verwurzelt, aber Songauswahl und auch Instrumentierung liessen immer wieder auch Soul-Produktionen anklingen. Zeitweise legte Guy viel Schmelz auf seine Stimme und «croonte». Gastauftritte von Freunden auf seinen Alben wurden die Regel. Seine Gitarre blieb dabei die sehr höhenlastige Fender Stratocaster, auf der er seine unglaublichen Läufe, Bends und Vibratos spielte und spielt. Buddy Guy spielt einen vielleicht aggressiv und schneidend zu nennenden Ton, ein bisschen Albert Collins, ein bisschen Hendrix.
Die neue CD enthält nun mehr von diesem Material, in hinreichend bekannter Weise mit Gastauftritten angereicherte gängige Songs, wobei Guy hier nicht die Soul-Schiene fährt. Es sind keine Cover-Versionen auf dem Album, alle Songs sind also Neukompositionen. Die Liedtexte sind zumeist ziemlich schlecht, ohne Witz und Raffinesse geschriebene Lyrics, was beispielsweise mich störte. Das gesamte Material dominieren stark mit elektrischer Gitarre durchsetzte Blues-Rock Arrangements mit krachenden Drums und praktisch ausschliesslich Gitarren-Soli. Das erstaunt nicht, denn die Gäste auf Skin Deep sind Eric Clapton auf «Everytime I sing the blues», Lap-Steel-Gitarrist Robert Randolph (zu sehen u.a. auf der DVD des 2004 Crossroads Guitar Festivals) auf «Out in the woods» und «That's my home» und Slide-Gitarrist Derek Trucks auf «Too many Tears» und «Skin Deep». Es gibt, mit anderen Worten, Gitarren bis zum Abwinken.
«Too many Tears» bringt neben dem Allman-Brother und Bandleader Trucks - immerhin Nr. 81 der Rolling-Stone-Liste der 100 grössten Gitarristen aller Zeiten - den Gastauftritt der dreifach Gramms-Nominierten Blueserin Susan Tedeschi, der Ehefrau Derek Trucks. Der Song ist sehr rockig, die Stimmen passen gut zusammen, der Text ist auch hier belanglos. Da aber das erste Stück der CD auch schon sehr rockig daherkommt, läuft man Gefahr, die Scheibe für einen einzigen Kraftakt zu halten, frei nach dem Motto «alle Regler am Verstärker auf 11». Die bluesigeren Stücke kommen aber noch.
Das dritte etwa, «Lyin' like a dog», ein Slow Blues in glänzender Manier des Meisters. Es erinnert an «7-11» auf Slippin In. Buddy lässt beim Solo die Saiten glühen und singt in bekannter Weise mit dem tödlichen Gespür für die Blues Moments. Der Slow Blues bietet Guy stärker die Möglichkeit, die Freiräume zu nutzen, die den Witz in sein Spiel bringen. Der Text ist auch bei «Lyin' like a dog» voller Klischees, aber es stört hier weniger, weil es doch gewisse interessante Wendungen gibt.
«Show me the money» ist ein Power Shuffle, der in die Beine geht und sich wahrscheinlich gut für Live-Auftritte eignet, weil er einige Stops hat und dem Publikum gute Möglichkeiten zum Mitsingen bietet. Das folgende Duett mit Clapton «Everytime I sing the blues» muss doch eher als etwas enttäuschend bezeichnet werden. Der Song ist eine einzige Schaubühne für Gitarrenlicks, und bei dieser Art Song gibt es immer eine feine Linie zwischen packendem Duett und beiderseitigem Vor-sich-hin-nudeln. Für mich enthielt der Song wenig Inspiriertes, und der Text rund um den Refrain «I'm just trying to sing the truth, every time I sing the blues» ist auch nicht gerade toll. Buddy Guy singt «I find my inspiration in tears and desperation; sad sad stories, we all know well, there is always one more story to tell». Mir scheint er weniger eine Geschichte erzählen zu wollen als der Welt immer noch und immer wieder zeigen zu wollen, welch grossartiger Gitarrist er doch ist.
Man kennt die Geschichte, dass Guy in seinen harten Lehrjahren bei Chess Records nie so spielen konnte, wie er es wollte. Stets wurden ihm von den Chess-Brüdern Fesseln angelegt, und als Hendrix, Clapton, Jeff Beck und die anderen der British Invasion den Blues zur Rockmusik ausbauten merkten die Chess erst, was sie da für einen Juwel unter Vertrag hatten. So ist die Geschichte Buddy Guys die eines genialen Musikers von ungewöhnlicher Flamboyance, der seit seinem Wechsel zu Silvertone 1990 immer mehr zu sich findet und die Musik spielt, die in seinem Kopf ist, aber er vergisst dabei über seine Space-Reisen auf der Strat manchmal den Zusammenhalt des Stückes. Dieses Duett mit Clapton ist Dutzendware und es klingt daher lieblos und beliebig. Wenn Clapton singt: «Yes there were some hard times, I'm lucky I survived» und Guy antwortet: «It take a whole lot of living to make a song come alive», so stimmt der Reim, und auch beide meinen es sicherlich ernst mit ihren Worten, aber die beiden Textzeilen haben einfach keinerlei Zusammenhang, sie antworten nicht aufeinander. Dies ist stellvertretend das Grundproblem des gesamten Stückes.
Es folgt «Out in the Woods», eine sonderbare Collage von Blues-Stilen. Das Stück beginnt als Slow-Blues mit einem Anklang an John Lee Hooker, dazu Slide-Gitarre. Randolph spielt toll. Für einmal auch ein witzig überzeichneter Text: Guy informiert uns darüber, dass er weit, weit draussen im Wald lebt und Wolfsblut in seinen Adern habe. Krokodile, Füchse und Grizzlies kennen ihn mit Namen, als Junge habe er mit den Klapperschlangen gespielt. Er ist also ein ganz knallharter Typ, der der Musik zufolge irgendwo im Sumpf von Louisiana lebt (im Hintergrund ist einmal schwach ein Cajun-Akkordeon zu vernehmen). Das - Achtung - «literarische Ich» des Stücks prahlt mit seiner Wildheit und Männlichkeit. Am Schluss folgt die Drohung: «If you come into my woods, you just might loose your tail». Insgesamt ein ansprechender Text, haltlos übertriebene Prahlereien unverwundbarer Männer in vollem Kraft und Saft ihrer Männlichkeit sind ein fester Bestandteil des Blues («I'm Ready», «I'm a Man/Mannish Boy», «Bo Diddley», «Crawling King Snake»).
Leider fährt Buddy Guy dass Stück für meinen Geschmack in die Wand. Es beginnt vielversprechend, wird für meine Ohren dann aber mit einem unnötig langen Solo zerstört. Die letzten drei Minuten des Stückes sind praktisch nur noch Gitarrensolo, zwar von Phrasierung und Soloverlauf wunderbar gespielt, aber bestehend aus stark synthetischen Gitarrenklängen, da ist sehr viel Elektronik zwischen Saiten und den Gitarrenlautsprechern. Man mag mich für nörglerisch halten, aber es passt nicht zum Feeling dieses Down-home Stückes, ein Solo im Stil eines over-engineered Presets auf einem elektronischen Vorverstärker zu spielen. Guy versucht nicht, das Gefühl des Stücks zu transportieren, er zeigt einmal mehr, wie sehr er auf der Gitarre die Sau rauslassen kann.
«Hammer and Nail» ist am ehesten ein Funk-Stück, wobei auch hier die Rhythmus-Struktur nur das Gerüst für Guys Solo bietet. «That's My Home» ist ein weiterer Shuffle, versetzt mit funky Elementen. Beide Stücke sind ganz in Ordnung, sie bieten einfach mehr von dem, was dieses Album bietet.
Das dann folgende Duett «Skin Deep», eigentlich eine Ballade, gefällt mir dafür erneut sehr gut. Trucks spielt tolles Slide, Guy singt engagiert. Der Text erinnert an eben leider nicht offensichtliche Tatsache, dass unter der dünnen Haut, die unsere Körper bedeckt, alle Menschen gleich sind, egal ob diese Haut nun schwarz oder weiss sei. Man nimmt Buddy Guy die noch immer währende Kränkung ab, wenn er singt «Folks in Louisiana never called my name, they said boy do this! and boy do that! but I never once complained.» Das Stück berührt, weil es andeutet, wie lange rassistische Behandlung einen Menschen schmerzen kann.
In «Who's gonna fill those shoes» macht sich Buddy Guy Sorge um das Erbe des Blues. Die Schuhe sind jene früherer Blueser, und Guy fragt mit der Titelfrage, wer eines Tages in diese Fusstapfen treten wird. Er zählt dazu eine Genealogie des Blues auf, durchsetzt mit dem Refrain. Interessant an solchen Genealogien ist ja immer die Frage, wer ist dabei und wer wurde nicht erwähnt. Buddy Guy «Erbfolge» lautet: Son House und Robert Johnson als Gründerväter, die Chicago-Helden Muddy Waters, Howlin Wolf, Willie Dixon, Sonny Boy Williamson, Little Walter, Otis Spann, Jimmy Reed und Magic Sam als zweite Welle des Blues und schliessich B.B., Albert und Freddie King, John Lee Hooker, Lightnin' Hopkins und Stevie Ray in der dritten Strophe.
Diese Auswahl ist doch immerhin bemerkenswert, und man kann sich beim Hören der CD den einen oder anderen Gedanken dazu machen (wenn man sich überlegt, welche Spekulationen das Cover von Sgt. Pepper's Lonely Heart's Club Band hervorgerufen hat...): Was bedeutet die Auslassung der gesamten West-Side von Chicago mit Ausnahme von Magic Sam? Wieso hat Guy nicht seinen Freund und langjährigen Partner Junior Wells erwähnt? Bedeutet die Liste, dass für Guy die akustischen Pioniere von Blind Lemon Jefferson bis Tampa Red keine Rolle spielen? Was ist mit den Frauen im Blues? Bei genauer Betrachtung finden sich aber tatsächlich Neuerer und Begründer ganzer Stilrichtungen und die Wegbereiter von Guy Stil, also ist die Liste konsequent.
«Smell the Funk» ist entgegen dem Titel kein Funk-Stück, sondern Guy gibt damit ein Beispiel dessen, was er für funky hält. Seine beliebte Anweisung an die Band «Play this so funky they can smell it» fehlt natürlich nicht, und das Stück ist ziemlich ansprechend. Der Closer «I found happiness» ist ein ruhigeres Stück, wie es auch zum Titel passt. Er schildert darin, wie glücklich er mit einer neuen und wunderbaren Frau ist. «She's just like a fitness machine, and we work out every day». Auch spart sie ihm den Arzt, denn mit ihr fühlt er sich wohl. Zudem sagt sie nicht viel ausser «BG, please take your time» und die nimmt er sich dann. Beim feinen Solo in diesem Stück wird klar, dass seine hier besungene Geliebte sechs Saiten hat. Das Stück ist ein schöner Blues mit interessantem Gitarren-Ton und das Wortspiel mit seiner Geliebten ist amüsant.
Fazit: Eine weitere CD von Buddy Guy, sicher nicht seine beste, wie gesagt eher schnell zusammengestellte Dutzendware, die man gut zum Autofahren laufen lassen kann oder wenn man die Wohnung putzt, aber zum Musik hören bietet sie zu wenig Abwechslung. Am besten gefielen mir «Skin Deep», «Out in the Woods», «Lyin' like a dog» und «I found Hapiness». Es wäre schön, wenn Buddy Guy beim nächsten Album mal wieder etwas neues versuchen würde. Vorschläge gefällig? Clapton und Guy arbeiten nach diesem enttäuschenden Effort zusammen an einer akustischen CD, vergleichbar Claptons Effort mit J.J. Cale The Road to Escondido, das wäre doch mal wieder was, und dazu faxen sie nicht die Songtitel hin und her und treffen sich zwei Tage im Studio, sondern sie nehmen sich ein-zwei Wochen Zeit und entwickeln das Material. Oder ein anderer Vorschlag: Buddy Guy gibt mal wieder ein schönes Live-Album heraus, in diesem Bereich sieht es nämlich düster aus. Seit The Real Deal von 1994 gibt es kein Live-Album mehr, und eine schöne Doppel-CD mit Live-Nummern wäre eine nette Abwechslung zu Bootlegs in schlechter Qualität oder mit dem Handy aufgenommene Yahoo-Filme, auf denen man im Internet Buddy Guy auf der Bühne erleben kann.
Buddy Guy, Skin Deep, Silvertone Records, 2008
Buddy Guy, Gitarre, Gesang
Tom Hambridge, Schlagzeug, Tamburin
Willie Weeks, Bass
Reese Wynans, Keyboards
David Grissom, Gitarre
Kirk Smothers, Tenorsaxophon
James L. Spake, Baritonsaxophon
Lannie McMillan, Tenorsaxophon
Mark Franklin, Trompete
Willie Mitchell, Horn
Susan Tedeschi, Gesang
Derek Trucks, Slidegitarre
Bekka Bramlett & Wendy Moten, Hintergrundgesang
Eric Clapton, Gitarre, Gesang
(jeweils in verschiedenen Songs in unterschiedlicher Besetzung)
1. Best damn fool
2. Too many tears
3. Lyin' like a dog
4. Show me the money
5. Everytime I sing the blues
6. Out in the woods
7. Hammer and a nail
8. That's my home
9. Skin deep
10. Who's gonna fill those shoes
11. Smell the funk
12. I found happiness