Buddy Guy Living Proof
Hank Williams hat eines gemacht, Cher hat eines gemacht, nun hat Buddy Guy sein 26. Studioalbum ebenfalls unter dem Titel Living Proof erscheinen lassen. Die CD ist erneut ein erfrischender Beweis, dass gute Musik keine Frage des Alters ist, denn Buddy Guy zeigt noch immer jedem Jungspund, wo der Barthel den Most holt, wenn es um Gitarrenblues geht. Und auf dieser neuesten Scheibe kriegt er prominente Hilfe: Carlos Santana kreuzt die Saiten, und dann gibt es als besonderes Juwel die erste Studio-Zusammenarbeit mit dem «King of the Blues» selbst: B.B. King und Buddy Guy in ihrem ersten jemals aufgenommenen Duett.
Buddy Guy liefert mit schöner Regelmässigkeit Alben ab, und seit er zur Produktionsfirma «Silvertone» gewechselt hat (er ist mittlerweile bei deren Unterfirma «Jive»), kommen die Studio-CDs mit grosser Regelmässigkeit: Damn Right, I’ve Got the Blues, Feels Like Rain, Heavy Love, Slippin’ In, Sweet Tea, Blues Singer, Bring ’em In, sowie die 2008 erschieneneScheibe Skin Deep. Und ich gebe es ehrlich zu: viele dieser Alben gefielen mir beim ersten Anhören nicht sonderlich, und erst nach und nach entdeckte ich, dass mir Titel wochenlang im Ohr blieben (so etwa der Titelsong von 2008 Skin Deep) und ich das Album immer wieder auf meinem Ipod oder im CD-Spieler hatte. Deshalb setzte sich bei mir die Überzeugung fest: den älteren Buddy Guy muss man an sich heranlassen, es dauert eine Weile, bis er sich erschliesst.
Jetzt also Living Proof. Doch siehe da: diese neueste CD schlug mich sofort in ihren Bann. Während ich bei früheren Alben manchmal den Eindruck hatte, Guy will unbedingt beweisen, dass er der verrückteste und exzentrischste Gitarrist ist, von dem sich Hendrix, Clapton, Townsend, Johnny Lang, Kenny Wayne Shepherd und all die nach ihm Gekommenen immer mal wieder eine Scheibe abschneiden könnten, zeigt er hier seine pure Freude am Blues und an seiner Meisterschaft damit. Das ganze Album hat autobiographische Züge, so steht im Internet zu lesen, doch da kann man nur sagen: welches Blues-Album hat das nicht?
Das einzige, was ganz leicht irritiert, ist das Cover: Das bräunliche Pappcover zeigt ein Bild von Guy mit selig himmelwärts gewandtem Blick. Das Cover hat zweimal vier Sterne und unten rechts steht «74 years young». Unten links auf dem Cover steht «750 ml», also ist das Cover offenbar eine Anspielung auf gut gereiften Whiskey (oder, um in Muddy Waters’ Bluestradition zu bleiben: Cognac, bzw. Brandy): Buddy Guy vergleicht sich, bzw. seine Kunst also mit einer Flasche höchst exquisitem Hochprozentigem, leicht befremdlich, aber wieso nicht.
Im Begleitheft zur CD steht jeweils nicht nur, wer bei einem Song mitspielt, sondern der Maestro gibt differenziert an, welche Gitarren er spielt: 57 Fender Strat und Polka Dot Strat, Gibson Custom ES-335, Martin Signature Electric/Acoustic, 74er und 72er Fender Telecaster Deluxe. Der Star bleibt die gesamte CD hindurch Buddy Guy selbst, was die Begleitband angeht, so ist Pianist/Organist Reese Wynans zu erwähnen, den Fans von Stevie Ray Vaughan noch bekannt von dessen Alben Soul to Soul und In Step. Drummer Tom Hambridge hat einen Grossteil der Titel mitverfasst, über Bassist Michael Rhodes, Gitarrist David Grissom kann ich nichts sagen.
Das erste Stück ist eindeutig autobiographisch, es heisst 74 Years Young. Er beginnt akustisch und wird dann zusehends in einem schönen Crescendo heavier. Buddy Guy lässt bereits hier zum ersten Mal so richtig die Sau raus. Beeindruckend! Thank me Somedaybeginnt mit einem Ultra-fetten Riff im Stil von Hoochie Coochie Man. Guy erzählt von seiner Kindheit in Louisiana und seinen ersten Klängen auf selbst gebauten «Gitarren». Die Schilderung der Widerstände seiner Familienmitgliedern ist anrührend. Die Bedenken seiner Schwester und Mutter beantwortete er mit einem schlichten «eines Tages werdet Ihr mir danken!», und dies erzählt der Titel. Dies ist der einzige Song, auf dem Guy die ES-335 einsetzt, und man merkt an den schnellen Stellen seines Solos, dass die Humbucker sein Tempo nicht ganz verarbeiten können. Der Sound wird etwas wenig transparent, kriegt dafür Körper.
Auf dem dritten Sond On The Road kommen die Memphis Horns (Jack Hale: pos., Wayne Jackson:tromp., Tom McGinley:Ten. Sax.)zum Gasteinsatz. Die grosse Band macht einen grossen Sound, der Song ist funky und packend, das hätte auch Albert Collins gefallen. Der Memphis-Sound leitet über zum Gastauftritt von B.B. King auf dem vierten Titel Stay Around a Little Longer. Von deren gemeinsamer Session gibt es ein Youtube-Promotions-Video. Das Video ist wohl ein Fake der PR-Abteilung (Im Moment der Aufnahme wird eine Bandmaschine gezeigt, als ob… und Buddy Guy spielt laut Liner Notes die Martin BG Signature Electric/Acoutsic), aber die Bilder der beiden alten Herren sind doch herzerwärmend. Der Song selbst ist, wie man das erwarten kann: gemütliches Austauschen von Licks, gesprochene Passagen, ein gemütliches Lied von zwei Grossmeistern, die sich, einander und der Welt nichts mehr beweisen müssen.
Key Don’t Fit ist erneut ein typischer Guy-Titel: als Grundlage ein stark reduzierter Rhythmus-Lick und seine jaulenden Licks drüber hinweg. Vielleicht wenig originell, aber einfach immer mitreissend. Reicht mit 5:02 knapp zum Anhören in der Dusche, danach ist man wach. Es folgt der Titelsong. Als «Living Proof» werden lebende Fossilien für die Evolution bezeichnet, also etwa der Quastenflosser, und somit bezieht sich Guy hier ironisch auf seine Rolle in der Blues-Tradition. Er ist ein Fossil aus der Anfangszeit des Blues, und der hat die Entwicklung mit eigenen Augen gesehen. Living Proof bietet erstmals Background-Vocals von Bekka Bramlett und Wendy Moten.Der Song erinnert mit seiner hypnotischen Qualität an die North Hill Country-Nummern auf Sweet Tea.
Der zweite Gastauftritt ist auf dem siebten Titel Where the Blues Began:eine Kooperation mit Carlos Santana. Der Mexikaner war schon auf Bring em In zu Gast (beim Titel I Put a Spell on You), und hier nun erneut. Where the Blues Began ist kontemplativer, ein wunderbarer Slow-Blues mit Latin-Feel, sehr gefühlvoll und Santana passt wunderbar rein mit seinen cremigen Solo-Linien. Beim gemeinsamen Solo sind die Gitarren in den Stereo-Kanälen sauber getrennt und es lässt sich gut nachverfolgen, wer gerade spielt.
Too Soon ist ein superfetziger Texas Shuffle, im Stile SRVs. Der folgende Titel Everybody’s Got to Go ist wieder starker autobiographisch, wenn er erzählt vom Tod seiner Mutter und was diese ihm auf dem Totenbett gelehrt habe. Dies ist Buddy Guys «Box of Choclate», wenn man so will, die Anerkennung der Endlichkeit des Lebens: «Everybody’s got to go». Let The Door Knob Hit Ya ist wieder purer Buddy Guy: im Prinzip Damn Right I’ve got The Blues mit neuem Text. Guess What ist der längste Titel auf dem Album: 5:44 dauert der Orgelbasierte Slow Blues.
Der letzte Titel, Skankyist ein gradliniger Blues mit klarem Riff, etwas erinnernd an Freddie King, zumal es auch ein Instrumentalstück ist. Insofern passt der Titel — skanky heisst schmutzig, schlampig, verrucht — eigentlich gar nicht. Auch dies mehr des bekannten, aber leicht und unangestrengt gespielt. Der Mann war am Tag dieser Aufnahme einfach gut drauf.
Alles in allem wirklich ein gelungenes Album von Buddy Guy, der in klaren Vorahnungen darauf hinweist, dass die alte Generation tatsächlich aus biologischen Gründen nicht mehr lange spielen wird, der aber in Erkenntnis dieser Endlichkeit ein wunderbares Album eingespielt hat, bei dem jeder Ton seine Bedeutung und seinen gerechten Platz einnimmt. Wie erzählt der Meister doch in einem Interview: «My first wife said to me, “It's me or the guitar,” and I picked up my guitar and left. We still laugh about that...». Wie gut, hat Buddy Guy das getan.
Buddy Guy - Living Proof