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William Stout: Legends of the Blues

Nutzlos, sinnlos, lieblos

WiliamStoutLegendsoftheBluesBuchcoverEin Wort der Warnung: Finger weg von diesem Machwerk namens Legends of the Blues. Dieses Buch, dass von aussen wirken mag wie ein Comic, ist in Wirklichkeit eine Zusammenstellung von Kurzbiographien von Bluesmusikern, jeweils mit einem gezeichneten Porträt. Teilweise hymnische Kritiken im Netz und auf Amazon erwecken den Eindruck, das Buch sei eine wahre Fundgrube für Informationen zu Bluesmusikern, und im Klappentext schwärmt Blues Brother-Regisseur John Landis von den Porträts der Musiker. Nach näherer Betrachtung dieses Buches komme ich zu einem anderen Schluss: Meiner Meinung ist dies ein vollkommen überflüssiges Büchlein mit schlechten, weil viel zu kurzen Biographien, das zudem eine Auswahl an Bluesmusikern präsentiert, die mindestens tendenziös ist und die man sogar als rassistisch bezeichnen könnte. Die Porträts der Musiker und Musikerinnen bieten zudem keinerlei neue Einblicke, sondern sie zementieren ein Bild von Bluesmusikern, von dem ich gehofft hatte, dass wir es hinter uns gelassen hätten.

William Stout ist ein Zeichner, der die Porträts der in diesem Büchlein biographisch knapp umrissenen 101 Künstlern (bzw. 102, wenn man Sonny Terry getrennt von Brownie McGhee zählen möchte gemalt hat. Die Bilder sind aber alles einfach gezeichnete Fotografien der Künstler. Stout hat also etwa den künstlerischen Beitrag geleistet, den man mit jedem Foto machen kann, wenn man es «simpsonized». Das ist kein sonderlich kreativer Umgang mit den Porträts und man fragt sich unwillkürlich, was das eigentlich alles soll. Von  Dinah Washington gibt es gute fotografische Porträts, welche Mehrwert bringt nun ein gemaltes Bild, das aber offensichtlich auf der Grundlage dieser Fotografien gemacht wurde? Meiner Meinung nach bringt es keinen.

MuddyWatersElectricMudJaguarPorträtEin Beispiel? Auf dem Titelbild des Buches ist Muddy Waters abgebildet in einem berühmten Foto, das ihn in der Zeit des Albums Electric Mud zeigt – mit Fender Jaguar anstelle der üblichen Telecaster, mit Dauerwelle und mit kalter Zigarette im Mundwinkel. Die Zigarette steckt noch in der Zigarettenspitze. Waters trägt ein weisses Hemd mit einer Schnürsenkel-Kravatte. Auf dem Buchcover sind seine Haare nicht als Dauerwelle dargestellt, sondern als mit Haarcreme hochtoupierte 50er-Jahre-Frisur. Die Zigarette brennt und sein Hemd ist blau geworden. Ob es eine Kravatte gibt oder nicht, sieht man nicht, weil das obere Horn der Fender Jaguar direkt unter seinem Kinn steht. Das Übelste aber ist der veränderte Ausdruck in den Augen – aber vergleicht selbst. Unten habe ich noch das Porträt von Howlin Wolf eingefügt, als weiteres Anschaungmaterial. Eine Google Bildersuche nach dem Namen des Zeichners und dem Buchtitel bringt weitere Informationen.

Dann die Musiker, die dargestellt werden: Das Buch enthält Biographien von: Albert Ammons, Kokomo Arnold, Fred Below, Chuck Berry, Big Maceo, Big Mabelle, Lucille Bogan, Eddie Boyd, Tiny Bradshaw, Charles Brown, Clarence «Gatemouth» Brown, Roy Brown, Gus Cannon, Ida Cox, Arthur «Big Boy» Crudup, Cow Cow Davenport, Walter Davis, Bo Diddley, Willie Dixon, «Georgia Tom» Dorsey und Champion Jack Dupree, um nur die bei den ersten vier Buchstaben des Alphabets genannten Künstler vollumfänglich aufzuzählen. Wieso Big Marceo Merriweather nicht unter «M» steht, sondern ohne Nachnamen kommt, wieso «Big» ebenso wie «Champion» nicht in Anführungszeichen steht, «Big Boy» oder «Georgia Tom» hingegen schon, kann nur mit der Nachlässigkeit der Editoren erklärt werden, eine tiefere Absicht lässt sich beim besten Willen nicht erkennen. Diese vier Buchstaben reichen schon aus, damit man einen Eindruck erhält, was man tun muss, um in den Augen von William Stout als «Blues-Legende» anerkannt zu werden: zwischen 1890 und 1930 als afro-amerikanischer US-Bürger im Süden geboren werden. Weisse Blues-Legenden gibt es im ganzen Buch keine (Pech gehabt, Michael Bloomfield!), es kommen auch keine Personen vor, die nur mit dem elektrischen Blues ab den 1960er Jahren in Verbindung gebracht werden (Nimm das, Freddie King!), und so grenzt sich die Auswahl der Blues-Legenden ein auf jene Blues- und Jazzmusiker, die in den 1930er bis 1960er Jahren von den Weissen Produzenten, Label-Besitzern und Komponisten systematisch ausgenutzt wurden. Die Definition von «Blues» gemäss diesem 2013 veröffentlichten Buch, ist also noch weniger fortschrittlich als jene von Fritz Rau, als er in den 1960er Jahren das «American Folk-Blues-Festival» organisierte. Dass sich der Blues seit den 1960er Jahren auch durchaus nochmal entwickelt hat, ist aus diesem Buch nicht zu ersehen. Hendrix und Stevie Ray Vaughan fehlen ebenso wie Ry Cooder oder irgend ein Bluesmusiker aus England, sei es John Mayall oder Alexis Corner.

WiliamStoutLegendsoftheBluesHowlinWolfBei jeder «Biographie», die alle immer auf 1 Seite begrenzt sind, wird neben dem hauptsächlichen Instrument, dem Geburts- und Todesdatum auch die wichtigsten Kompositionen und – gegebenenfalls – Cover-Versionen genannt. Die einzelnen Biographien sind unausgewogen, für so wenig Raum wird zu viel Information über Biographisches gegeben, dafür zu wenig über künstlerische Aspekte. Dabei erfährt man interessante Details, aber leider nur durch Zufall. So war mir weder bekannt, dass First Time I Met The Blues eine Komposition von Little Brother Montgomery ist, noch, dass dieser auf Buddy Guys Hit-Version das Klavier spielte. Hätte ich allerdings die Wikipedia-Biographie von Montgomery gelesen wäre ich zur selben Erkenntnis gelangt.

Ich fasse also zusammen: Die Sammlung von rund 100 Biographien von Bluesmusikern lässt auf eine historisierende und fragwürdige Definition von «Blues» schliessen, die biographischen Informationen sind sehr knapp gehalten und die Bilder sind im besten Fall belanglos, weil ohne künstlerischen Wert oder es sind sogar üble Rassenstereotype, bei denen die Lippen etwas dicker gezeichnet sind als auf dem Foto, das als Grundlage diente. Dazu gibt es eine «Bonus»-CD mit 14 Titeln, von denen 2 so genannte «Bonus Tracks» sind, was ziemlich sinnfrei daherkommt angesichts der Tatsache, dass alles gemeinfreie Titel sind. Als Erkenntnis bleibt die traurige Einsicht, dass es nie zu spät ist, um auf der Grundlage dieser vielfach entrechteten und systematisch ausgebeuteten Musiker nochmal einen schnellen Dollar zu verdienen.

William Stout – . Legends of the Blues : 100 Portraits & Bios / by William Stout, Introduction by Ed Leimbacher – . 223 S., Farbzeichnungen, 1 Audio-CD, 19 cm – . New York: Abrams Comic Arts, 2013 – . ISBN 978-1-4197-0686-8.