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Fotoband: Legenden des Blues

Legenden des Blues

Buchbesprechung Porträt-Fotobänder

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Der Buchmarkt bietet zwei Sammlungen von Porträtfotografien von Bluesmusikern an, beide Ende der 1990er Jahre unter dem Titel Legenden des Blues veröffentlicht. Zudem passt auf beide Werke dieselbe Beschreibung des Inhalts: Monochrome Fotografien von Bluesmusikern. Aber: beide Bildersammlungen enthalten vollkommen andere Bilder, und es werden andere Personen darin dargestellt. Das wirft die Frage auf, wer denn eigentlich den Aufstieg zu Status der Legende schafft. Hier also eine Besprechung der beiden Werke, die auch in der näher rückenden Weihnachtssaison ihren Weg unter den einen oder anderen Baum finden könnten. Eine Diashow zeigt einige der ausdrucksvollen Aufnahmen.

 

 
Die älteren Legenden

David Harrison (ed.) - . Die Legenden des Blues : Eine Hommage in Bildern - . 144 S. - . Königswinter: Heel, 1995 - . ISBN 3-89365-460-7.

Die Besprechung geht chronologisch vor: Zunächst gibt es um das Buch von David Harrison, das früher erschienen ist, das aber vor allem auch ältere Bilder enthält. Harrison ist der Editor, die Bilder stammen nicht aus seiner Kamera, sondern von vielen Fotografen: Val Wilmer, Bill Greensmith, Terry Cryer, Dave Peabody, Sylvia Pitcher, Axel Küstner, um nur die am meisten vertretenen zu nennen.  Diese Leute waren odeLegendenDesBluesHarrisonFotobandCover.pngr sind freischaffende Fotografen. So publizierte etwa die britische Fotografin Val Wilmer ihre Aufnahmen in Melody Maker, Down Beat und anderen Musikorganen. Sylvia Pitcher betreibt eine eigene Homepage, dasselbe gilt für Terry Cryer 

Der Band zeigt wirklich sehr bewegende Bilder von Bluesmusikern quer durch die ersten zwei Drittel des 20. Jahrhunderts. Die Serie beginnt mit Bildern früher «Legenden», angefangen bei Blind Willie McTell und Jimmy Yancey, und dann geht es fröhlich weiter mit schwarz-weissen Porträts. Big Marceo Meeriweather, Tampa Red, Leadbelly, Eddie «Son» House und weiter bis zu David «Honeyboy» Edwards, Reverend Gary Davis. Die Sammlung der Porträts endet in den 80er Jahren mit Bildern von Albert Collins, Luther Allison, Johnny Copeland und Robert Cray Soweit nichts Überraschendes oder Spezielles, wen auch darauf hinzuweisen ist, dass es alles qualitative sehr hoch stehende Bilder sind.

Neben diesem zu erwartenden Inhalt, den Bluesmusikern, die wohl jeder Bluesfan als «Legenden» bezeichnen würde, gibt es aber auch Bilder von Bluesmusikern, die entweder obskur sind, weil sie aus welchen Gründen auch immer wenig Bekanntheit erreicht hatten, oder es gibt Bilder von Bluesmusikern, die zwar ausgezeichnete Musiker waren, für die aber das Label «Legenden» etwas gezwungen wirkt. Nichts gegen den Mann oder seine Musik, aber meiner Meinung ist James Cotton ein wunderbarer Harmonikaspieler, aber beileibe keine «Legende». Selbstverständlich ist es gut, auch von diesen Musikern eine Fotografie zuhause zu haben. Unter Umständen kann es sogar sinnvoller sein, ein Foto von Slim Harpo zu haben als ein weiteres von Muddy Waters oder The Howlin' Wolf.

Was die obskuren Personen angeht, so bezieht sich dies auf Personen, die man vielleicht aus Büchern kennt, deren Aufnahmen aber in der Regel kein CD-Gestell zieren. Sippie Wallace beispielsweise, sie spielte in den 20er Jahren mit Jazz- und Bluesorchestern, wurde in den 60er Jahren durch Bonnie Raitt wieder entdeckt und erlebte kurzen neuerlichen Ruhm. Auch «Speckled Red» (eigentlich Rufus Perryman), Komponist des Hits The Dirty Dozen von 1929, dürfte wenig bekannt sein. Und jetzt mal ehrlich (Hand hoch!): wer kennt Gitarrist Buddy Moss? Banjospieler John Jackson? Harmonikaspieler Frank Frost? Gitarrist Weldon «Juke Boy» Bonner? Eben!

Aber auch die wenig bekannten Gesichter, deren Namen man vielleicht schon gehört hat, kriegt man hier zu sehen: Ein wunderbares Bild von Little Brother Eurreal Montgomery, eine sehr sympathische Aufnahme von Fred McDowell oder Louisiana Red vor einem «Country Shack». Man sieht Eddie «Cleanhead» Wilson bei einer Rasur des Schädels zu, und Big Walter «Shakey» Horton auf dem Titelblatt ist ein wunderschönes melancholisches Bild.

Zu den Fotos gibt es kleine Bildlegenden, in denen in anekdotischer Art über die Person auf dem Bild erzählt wird. So erfährt man, dass der oben erwähnte Buddy Moss seine Karriere nicht verfolgen konnte, weil er im entscheidenden Moment ins Gefängnis kam. Oder neben dem Bild von Sam «Lightnin» Hoplins steht erklärt, wie er zu diesem Namen kam: 1964 macht er Aufnahmen mit einem Partner am Piano: Wilson «Thunder» Smith. Um seinem «nom de guerre» zu entsprechen, legte sich Hopkins eben das «Lightnin» zu.

Dieser Bildband ist wirklich eine wunderbare und empfehlenswerte Enzyklopädie der Bluesgeschichten. Viele Blueser aus der Vorkriegszeit, viele unbekannte Gesichter, viele überraschende Einblicke. Der einzige Kritikpunkt ist, dass einzig und allein Bilder von Schwarzen Bluesmusikern zu finden sind. So sucht m an vergebens ein Bild von Johnny Winter, Duane Allman, Stevie Ray Vaughan oder John Mayall. Blueslegenden sind nach der aus dem Buch abzuleitenden Definition von David Harrison also Schwarz, alt und sie hatten ihren Schaffenszenit zwischen den 30er und den 1960er Jahren.

Also mit gewisser Vorsicht sollte man die Bilder geniessen, aber die Gesichter erzählen tolle Geschichten. Und wenn nichts anderes, so ist doch das Bild der alten und durch einen Schlaganfall beeinträchtigten Memphis Minnie sehr eindrücklich, denn sie sitzt in ihrem Rollstuhl und neben ihr steht das berühmte Bild dieser Frau, als sie noch jung und erfolgreich war.

Diashow

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Die Legenden «Revisited»

Jeff Dunas - . Legenden des Blues. State of the Blues - . 174 S. - . Köln: Könemann, 1999 - . ISBN 3-8290-2102-X.

Dieses 1999 auf Deutsch erschienene Werk mit dem verträumten Keb' Mo' auf dem Titel ist im Gegenmsatz zum anderen keine Collage von Bildern, es ist das Portfolio eines Fotografen: Jeff Dunas. Dieser hat das Buch 1998 bei Aperture auf Englisch herausgebracht unter dem Titel The State of the Blues, jetzt Untertitel der deutschen Ausgabe. Der Untertitel auf Englisch lautet «The Living Legacy of the Delta Blues». Das Werk war ursprünglich das Begleitbuch zur Ausstellung «State of the Blues» im Delta Blues Museum in Clarksdale, MS.

Dunas konnte für das Buch ein Vorwort von John Lee Hooker kriegen, der in gewohnt erratischer Weise etwas erzählt, das nichts mit dem Buch oder den Photos zu tun hat. Es gibt eine Einleitung vonm William Ferris und dann die Porträts, alle von Dunas fotografiert. Seine Bilder scheinen monochrom, sind aber braun-weiss-schwarz, also keine Schwarz-Weiss-Aufnahmen.

Der Stil des Buches ist im Vergleich zum oben besprochenen vollkommen verschieden: Weil es stets derselbe Fotograf ist, gibt es eine Gleichheit, aber auch Vergleichbarkeit der Bilder. Die Bluesmusiker und Musikerinnen können also viel besser in ihrem Ausdruck, ihrem Blick, ihrer Körperspannung verglichen werden als im Buch von Harrison, in dem einer auf der Backporch fotografiert wird, der andere bei einem Auftritt und der Dritte beim Frisör. Und Dunas geht näher an die Leute ran. Alle Seine Bilder stammen aus den Jahren 1994 bis 1998, und es sind Zeitdokumente. Die «Legenden» des Blues sind älter geworden, und das macht die Gesichter interessanter: B.B. King ist hier der elder statesman der Musik, als den er sich ja in den letzten 20 Jahren gerne gibt. Ruth Brown ist eine dynamische Frau, Etta James ein aufgedunsenes Wrack.

Alle Bilder sind vor neutralem Hintergrund gemacht, also wirkliche Portätfotografie. Und alle haben mit 20x26cm dasselbe Format, wenn natürlich auch nicht denselben Bildausschnitt. Die Bilder gehen vielmehr unter die Haut. Bilder von Ike Turner, Jimmy Dawkins, Honeyboy Edwards oder Jimmy Rogers nehmen den Zuschauer mit ihren Augen gefangen.

Die Zwischentexte sind banal, weniger anekdotisch und kurze Zitate der fotografierten Musiker im Stil vo «Der Blues wird niemals sterben. Solange es mich gibt, bin ich fest entschlossen, ihn am Leben zu erhalten. Und wenn er irgendwo in den Wolken landet, werdet ihr mich genau dort finden und den Blues singen hören» (Koko Taylor).

Auch hier gibt es Namen, von denen ich noch nie gehört habe, bzw. wo ist um die Person weiss, aber ihre Musik nicht kenne: Hadda Brooks, Aron Burton, Lavette White, Little Mack Simmons, all diese Namen stehen für noch zu erkundendes Territorium. Aber die Bilder geben einen Eindruck, ob man diese Person wohl interessant findet oder nicht, wo wie es im anderen Buch die Begleittexte taten. Dunas hat auch Porträts von Musikern drin, die nicht unbedingt dem Blues zuzurechnen sind: James Brown etwa oder Solomon Burke.

Unter dem Strich ergänzen sich die beiden Bücher perfekt: Man kann bei vielen Personen sehen, wie die früher ausgesehen haben du wie sie jetzt (oder vielmehr vor 15 Jahren) aussehen. Das erste Buch konzentriert sich mehr auf das Wissen um die Person, das zweite spielt mehr mit dem Gefühl, ist eine Inszenierung. Und die Sammlung von Harrison ist eben alte Fotografie der Menschen in ihrem Leben, während Dunas moderne Porträtfotografie zeigt.

Was bleibt ist die Hoffnung, dass heute wieder jemand die «Legenden» des Blues sucht und ablichtet. Sie sind viel zu schnell weg. Dunas hat es nicht mehr gereicht, Vaughan zu fotografieren, bei Harrison ist er noch nicht drin.

Beispiele von Jeff Dunas' Bildern findet Ihr unter folgender Adresse: http://www.dunas.com/bgrid.html

Wer also sind die «Legenden» des Blues? Es sind nicht einfach die berühmten einflussreichen und vom Publikum verehrten Musiker. Vielmehr meint die Bezeichnung «Legende» einfach alle, die jemals diese Musik gespielt und damit die Herzen anderer Menschen berührt haben. Der Blues selbst macht jemanden zur Legende.

Das etymologische Wörterbuch Kluge sagt zum fraglichen Begriff übrigens: aus Lateinisch legenda «Lesung eines Heiligenlebens», eigentlich «die zu lesenden (Texte)», zu legere «lesen». Ausgehend von dem oft wunderlichen Charakter solcher Geschichten entsteht dann die Bedeutung «nicht ganz glaubwürdige Geschichte». Damit wären die Legenden des Blues jene Musiker, über die man nicht ganz glaubwürdige Geschichten erzählt, und das stimmt wohl wieder für alle abgebildeten Musikerinnen und Musiker.