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Big Bill Blues: William Broonzys Story

bigbillblueseigenertitelklein.jpgPassend zu unserem Artikel Blues Masters from the Past: Big Bill Broonzy heute die Rezension einer Biographie des grossen Bluesers.

 

Dieses Werk ist eine Art Autobiographie Big Bill Broonzys. Der unter diesem Namen in die Geschichte des Blues eingegangene William Broonzy (1893-1958) verfasste seine Memoiren sehr früh, will sagen zu einem Zeitpunkt, da Country Blues ausser von einigen Enthusiasten wie Alan Lomax oder von europäischen «Spinnern» wie Horst Lippmann, Fritz Rau und wohl auch Claude Nobbs kaum als Kunstform wahrgenommen wurde. Country Blues war eine Musikform, die viele Leute spielten und hörten, aber als musikalisches Genre von eigenem Charakter und künstlerischem Anspruch wurde es ebensowenig angenommen wie Hip-Hop zu Beginn der 80er Jahre.

 

 

BROONZY, Big Bill - . Big Bill Blues : William Broonzy's Story as told to Yannick Bruynoghe : with 9 pages of half-tone illustrations and four drawings by Paul Oliver : Foreword by Charles Edward Smith - . New York: Da Capo Press, 1992 - . 176 S. - . ISBN 0-306-80490-5.

 

Big Bill Broonzy wollte seine Lebensgeschichte aufgeschrieben haben, um die Wahrheit über die Musik der Schwarzen Amerikaner der Südstaaten zu berichten: «The reason I'm writing this book is because I think that everybody would like to know the real truth about Negroes singing and playing in Mississippi.» (S. 29). Dafür suchte er sich aus nicht im Buch vermerkten Gründen den dänischen Autor Yannick Bruynoghe aus, der aus seinen mündlichen Aufzeichnungen (Broonzy war Analphabet) ein Buch fertigen sollte. Er wollte dies The Truth About The Blues nennen.

Wie der Autor selbst zu Beginn seiner Einleitung schreibt: «It has been said that a bottle of whiskey and a tape recorder were the necessary tools for the making of this book. One bottle of whiskey is a fantastic understatement, but no tape recorder was ever used.» (S. 9).

Das Werk besteht im Wesentlichen aus drei Kapiteln: My Life, My Songs, My Friends. Dazu gibt es eine Sammlung von Fotographien von Broonzy und verschiedenen seiner Freunde und eine von Albert J. McCarthy erstellte Diskographie, was bekanntlich für Country Blueser der ersten Generation eine immense Arbeit bedeutet, weil diese dieselben Titel immer wieder unter anderem Namen und bei verschiedenen Labeln aufgenommen haben. Die Ersterscheinung des Werkes datiert auf 1955, eine erste Paperback-Ausgabe erschein 1964.

Das Werk ist keine Biographie oder Autobiographie im traditionellen Sinn. Wir erfahren wenig Details aus dem Leben Big Bill Broonzys, dafür aber plaudert er über alle möglichen Dinge, und viele Informationen sind lediglich zwischen den Zeilen erkennbar. Und während er sich bemüht, im Kapitel My Life bei seinem Elternhaus zu beginnen, ist es doch keine lineare Schilderung seines Lebens. Zudem ist deutlich festzustellen, dass Broonzy selbst keine Biographien gelesen hatte und nicht wusste, was das Lesepublikum in der Regel erwartet. So schildert er beispielsweise keine wesentlichen Details über seine zwei Jahre in der Armee oder seine erste Reise nach Europa. Auch ist der Name seiner Ehefrau nicht zu erfahren.

Trotzdem ist dies ein faszinierendes Buch und gerade die Authentizität seiner Aussagen ist es, die das Werk zu einer lebendigen und fesselnden Lektüre macht. Man kriegt sehr leicht den Eindruck, hier einem Gesprächspartner gegenüber zu sitzen, der mit Engagement seine Geschichte erzählt.

Ein zentrales Thema sind die Rassenbeziehungen. Einerseits vertritt Big Bill deutlich die Ansicht, dass die Schwarze Musik nicht weniger wert sei als jene der Weissen: «Of course we know that it ain't just Negroes that play and sing the blues because there's some hillbillies and cowboys that sing the blues, too. They sing it their way and we sing our way. We know and love our way and they know and love their way. The hillbillies isn't ashamed to play their old style, so why should we be ashamed of the way we learned to play and sing the blues.» (S. 29) Gleichzeitig wird aus der Darstellung auch deutlich, dass die von verschiedenen Autoren festgestellte Zweiteilung der Welt in eine Schwarze und eine Weisse Wirklichkeit eben auch Tatsache ist: Obwohl musikalisch wenig Unterschiede bestehen zwischen der Musik der «Hillbillies und Cowboys» und jener der «Neger» nimmt Broonzy diese sozial bedingt Trennung nur allzu deutlich wahr.

Die Deutlichkeit der Rassentrennung und der Stratifizierung der Hautfarbe auch innerhalb der Schwarzen Bevölkerung zeigt sich deutlich in einer herzerweichenden Schilderung davon, wie der junge Bill aus der Kirchgemeinschaft seiner Grossmutter - einer Mulattin - ausgeschlossen wurde, weil er eben kein Mischling war, sondern ein rein Schwarzer Mann: «On my father's side he had four brothers and one old sister. His mother was a mulatto coloured woman. Her family throwed he out when she married my grandfather, because he was real black. I remember when I was big enough I had to walk my grandmother to church and sit outside the gate and wait until the church meeting was over and take her home. The reason I had to sit outside was because they didn't allow black Negroes in their churches and schools.» (S. 31) Die unumstössliche Faktizität dieses Ausschlusses macht deutlich, wie tief diese Trennung ging, und wie wenig ein einzelner dagegen tun konnte.

Gleiches gilt für das Kapitel Schulbildung. Broonzy erwähnt nicht, dass er keine Schulbildung genossen hat. Aber das folgende Zitat macht deutlich, wie weit entfernt von einer formellen Schulbildung oder gar höheren Bildung er stand. Nicht nur wird er als Siebenjähriger arbeiten geschickt, seine Vorstellungskraft reicht nicht aus, um sich eine Bildung auszumalen, wie sie an einem College geschieht: «When I was seven years old I was hired out to work for a man by my father and the man had six children: four boys and two girls. My job was to take care of all of them. Two of the boys was older than me. The older boy went to college and when he came back he was a lawyer; the next boy went to college and when he came back he was a doctor; then the two girls went to college and when they came back they was school teachers; then the younger boy went to college and when he came back he took over his father's place and ran it for him. I started to work for this man in 1899 and I worked for him till 1916 and ever since I'd seen all of them go to college I'd been wanting to go to college, too, because every one of the six children went to college, came back and got to be something. So in 1917 I was called to the army and I had learned a lot but I still wanted to go to college. So I got to go to college in 1950 and I got Doctor Shelleter and Mr. Pemburg to thank for that: they was the cause of my dream to come true. They got me a job as a janitor in the Iowa State College and I'm happy and I thank them for that.» (S. 33 - 34) Ich bin der Überzeugung, dass Broonzy es tatsächlich für einen Erfolg hielt, eine Hausmeisterposition an einem State College zu erhalten. Dass er damit eben nicht die Bildungsanstalt besucht, scheint kein Problem zu sein.

Zudem erfährt man vieles über den Lebensalltag der Zwischenkriegszeit. Willie Dixon hat bekanntlich I Ain't Superstitious geschrieben, einen Titel, in dem er augenzwinkernd die abergläubischen Gewohnheiten der Schwarzen Bevölkerung kommentiert, aber sich selbst als ebenso zu diesem Aberglauben bekennt: «I ain't superstitious, but a black cat just crossed my trail. [...] when my right hand is itchy, I get some money for sure». Big Bill Broonzy tut dasselbe, wenn er erst die Elemente des Aberlaubens aufschreibt und dann freimütig bekennt, sich an diese zu halten: «Superstitious Negroes don't walk under ladders, don't sing in bed, watch the number 13, don't eat the last biscuit on the table. If two people are walking together, don't let another man or woman walk between you, don't let a black man or woman in your house on Monday morning and don't pay no bill you owe on Monday; don't do no kind of work on Sunday unless you say: "The ox is in the mere and I've got to pull him out", then it's all right to do any kind of work, and don't sew a button on your clothes exactly where it was unless you put a stick in your mouth. If a snake has crossed the road and left a track, turn around and go back, or if you can tell which way he was going and can tell that he hasn't been long across, try to go around in front of him - many times I've went two or three miles out of my way to try to cut a snake; if you kill a snake don't turn his billy up because if you do it will rain before sundown.» (S. 36) Aus diesem Abschnitt ist auch zu erkennen, dass sich Yannick Bruynoghe entschlossen hat, den Charakter im Amerikanischen Englisch Broonzys beizubehalten: Mit «billy» meint er «belly» und auch falsche Stammzeiten oder weitere Charakteristika des Südstatten Dialekts werden beibehalten. Allerdings scheint diese Sprache 1955 noch wenig bekannt gewesen zu sein: Der in den Dialekten der Amerikanischen Südens gebräuchliche explizite Plural «y'all» wird als «you-all» ausgeschrieben: «You-all come with me and get your fiddles and take them home and keep them until you can learn to play them.» (S. 35).

Auch über die Geschlechterbeziehungen und den Umgang miteinander erfahren wir spannende Aspekte. Im Kapitel über seine Freude gibt es einen Abschnitt zu Sleepy John Eastes, in dem Broonzy eine Frau beschreibt, die für eine Gruppe von Gleisarbeitern kochte, deren Vorarbeiter Eastes war und deren Essen sie kochen sollte: «He had a woman on the gang, too, and we called her „Crying Mary" because he beat her almost every day. He had to do it because if he didn't she wouldn't do cook or do nothing and after he'd given her a good beating she would cook some of the best pies and biscuits and wouldn't burn the ham. If he didn't beat her, she would burn up everything, even the boss's food.» (S. 110)

Gewalt war generell ein grosses Thema in dieser Zeit. Perplex liest man die Beschreibung einer ganz normalen Geburtstagsparty nach Bluesman-Art: «Every year on March 30 he [d.i. Big Maceo Merriwheather] would give a birthday party and it would take at least fifteen of us musicians to throw him down because he weighed 245 pounds and was six feet tall. But that's the way we all celebrate ano another's birthday party by throwing him or her down and hold them. All of us would then give him or her a lick with a strap or a board and some time there would be from twenty-five to thirty of us musicians to give a lick apiece.» (S. 115)

Insgesamt öffnet das Buch einen Blick auf eine andere und untergegangene Welt. Es ist ein Glück dass diese Welt nicht mehr existiert, aber weil sie für den Blues prägend war, ist es historisch interessant, sie zur Kenntnis zu nehmen. Und die Biographie des grossartigen Bluesman Big Bill Broonzy liefert hierzu eine tolle Möglichkeit.

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Gruppenbild mit Hund: hinten, v.l.n.r.: Jazz Gillum, Tampa Red, Little Bill Gaither. Vorne: Jack Dupree, Big Bill Broonzy und Tampa Reds Hund, der «ebensoviel Whiskey trank wie wir und der uns beim Singen half.»

 

bigbillamisc.jpgBig Bill Broonzy am Iowa State College. Im Buch ist dieses Bild unterschrieben mit «Mopper's Blues»