Lehrbuch Masters of Blues Guitar
Das neueste Lehrbuch des Schweizer Ausnahmegitarristen Richard Köchli führt Lernwillige ein in die Welt der klassischen Bluesgitarristen der Zwischenkriegsjahre, aber auch deren Nachfolger jüngerer Generationen. Es steckt viel Arbeit in diesem Buch, aber der Aufwand lohnt sich. Nichts weniger als den gesamten Umfang der klassischen Bluesgitarre bietet Koechli hier in gewohnt kompetenter und ansprechender Form an. Dies ist ein wirklich guter Lehrgang für Blues-Gitarristen – und das Buch macht richtig Spass. Hier gibt es eine Besprechung des Werks und einen Praxistext.
Auf diesen Seiten wurde schon Richard Köchlis Lehrbuch Slide Guitar Styles rezensiert (dort steht auf dem Titelblatt noch Koechli), wo ich eindeutig meine Begeisterung für diesen Kurs zum Ausdruck brachte. Mit seinem neuen Werk Masters of Blues setzt Köchli seine erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem AMA-Verlag fort. Er legt hier ein weiteres Lehrbuch für Gitarre vor, das insgesamt dritte, nachdem er im Jahr 2000 mit Best In The West : Nashville Guitar schon ein erstes Self-learning-Buch veröffentlicht hatte.
In diesem Lehrbuch nimmt er sich der Vermittlung der einflussreichsten Bluesgitarristen an. Er führt hier ein in stilistische Charakteristiken im Instrumentalstil der Country-Blues Gitarre von Charley Patton, Blind Blake, Blind Willie Johnson, Memphis Minnie, Mississippi John Hurt, Son House, Tampa Red, Robert Johnson, Big Bill Broonzy, Bukka White, und «Mississippi» Fred McDowell. Bei den elektrischen Gitarristen, die aber noch immer dem Country-Blues verpflichtet sind, gibt es Lektionen zu Muddy Waters, Lightning Hopkins, Elmore James und John Lee Hooker. Von den modernen Repräsentanten der Bluesgitarre geht er mit Ry Cooder, Bonnie Raitt, Eric Clapton, Keb’ Mo’ und Rory Block ein auf die legitimen Erben der Pioniere.
Mit diesem Who is Who des Country-Blues kriegt man eine wahre Tour d’horizon des Gitarrenspiels, das entsprechend dieser Musiker eine umfassende Einführung in die jeweiligen Stilrichtungen bietet, aber damit auch hinreichend Material für die eigene Entwicklung. Die Frage ist, wieso Köchli diese Beispiele wählt. Seine im Vorwort gegebene Antwort verblüfft: «abgesehen davon, dass diese zeitlose Musik eine ungeheure archaische Kraft und Magie ausstrahlt, steckt dahinter vor allem auch die pragmatische Erkenntnis, dass wir ganz einfach am meisten von den Altmeistern profitieren. Du kannst von ihnen ALLES lernen; nicht bloß die Technik, sondern auch die Schlauheit und den Mut, technische Grenzen bewusst in die Musik zu integrieren, und natürlich vor allem die große Energie und Seele ihres Spiels. Egal wie talentiert wir sein mögen, nicht alles lässt sich durch Üben aneignen.» Verblüffend an dieser Aussage ist, dass Köchli nicht das variantenreiche Spiel und die technische Versiertheit mit Slide, Fingerpicking, offenen Stimmungen etc. als Grund angibt, sondern vor allem das, was über die Musik hinausgeht.
Und das ist es, was er hier in diesem Lehrbuch zu vermitteln sucht: die Kraft und Persönlichkeit dieser Musiker, wie sie sich in ihrer Musik manifestiert. Erneut das Vorwort: «Ich bin der Meinung, dass wir von den wunderbaren Altmeistern des Blues ein Leben lang lernen können. Was immer wir aus diesem Stoff in unserer eigenen musikalischen Tätigkeit schneidern; wichtig ist, dass wir den Spirit, die rohe Kraft und Ehrlichkeit dieser Kultur ins neue Jahrtausend hinüberretten.» jede einzelne Lektion wird eingeleitet durch einen kurzen biographischen Abriss des jeweiligen Künstlers. Obwohl dies allgemeine biographischen Informationen sind, kopiert Köchli nicht einfach den Wikipedia-Text, er schreibt zu jedem der Musiker eine persönlich gefärbte Einleitung, etwa, wenn er Bonnie Raitts «Glaubwürdigkeit und Anmut» hervorhebt. Nach der Biographie folgt eine Einführung in den Gitarrenstil der jeweiligen Lektion.
Selbstverständlich kann Köchli nicht auf jeden in ausführlicher Tiefe eingehen, das wäre eine mehrbändige Enzyklopädie. Stattdessen gibt er zu jedem Musiker oder Musikerin neben einem biographischen Abriss einige Vorübungen und mindestens ein ganzes Stück «In the Style of…». Dies Stücke orientieren sich an berühmten Originalaufnahmen, aber um sich jeglicher Copyright-Diskussion zu entziehen, hat Köchli diese stilistisch passend aber merklich abgeändert. Von Clapton gibt es neben Vorübungen etwa Hey Big Slowhand, das starke Ähnlichkeit mit Hey Hey von Unplugged aufweist. Auch Hooker’s Mood oder John’s Chillen lassen den geneigten Leser leicht erkennen, an welche Originale John Lee Hookers sich diese Lehrstücke anlehnen. Von den Bluespionieren gibt es ausser bei Memphis Minnie jeweils zwei Songs, ab Ry Cooder jeweils nur noch einen.
Zentral aber bleibt: es geht nicht um das museale Einstudieren klassischer Stücke, sondern um die Bereicherung des eigenen Repertoires mit diesen Elementen, dies ist schliesslich ein Lehrbuch. Hierfür sind die kleinen Fingerübungen unabdingbar, mit denen die Stücke eingeführt werden, die aber auch Licks sind im jeweiligen typischen Stil gehalten. Gerade diese Vorübungen helfen auch dabei, die Schönheit dieser alten Bluesbegleitungen wieder neu zu entdecken, etwa im Fall von Bukka White, bei dem Köchli mit drei Vorübungen ein kleines Universum des Country Blues öffnet. Die Tabulatur der Vorübungen beinhaltet zudem Angaben über die Fingersätze der rechten Hand, lässt also keine Wünsche offen.
Alle Aufnahmen stammen von Richard Köchli selbst, in makelloser Qualität eingespielt und auf der beiliegenden CD als Musik-Cd und mit als MP3 hinterlegt. Die Vorübungen sind nur als MP3 zu haben, auf der Musik-CD gibt es die ganzen Songs. Alle Einspielungen weisen den charakteristischen Ton der Musiker auf, so ist die Begleitung zu Elmore James so gequetscht-näselnd, wie sich das gehört, «Mississippi» John Hurt kligt genau so transparent wie das Original und diese hohe Qualität der Einspielungen macht klar: das ist zu schaffen, diese Stile kann man lernen.
Praxistext
Köchlis neuestes Werk weist dieselbe Sorgfalt auf wie die früheren Werke oder seine Aufnahmen. Das heisst hier, dass alle Tabulaturen und Notationen korrekt sind, und dass man sich entsprechend dem Kurs vertrauensvoll hingeben kann. Für mich war der Umgang mit den vielen offenen Stimmungen zwar nicht Neuland, aber die Wiederentdeckung von in Vergessenheit Geratenem. Dies bildet ein erstes Hindernis. Nachdem man aber mal vertraut ist mit offenen Stimmungen lassen sich die Lektionen zu einem Musiker in etwa drei bis vier Stunden so durcharbeiten, dass man den Eindruck hat, die Technik zu beherrschen. Ich habe mich an Tampa Red, Son House, Muddy Waters, John Hurt und Keb’ Mo’ versucht, und bei weitem nicht alle dieser Lektionen durchgearbeitet, denn diese sind anspruchsvoll.
Das heisst, das Buch kann einen locker ein halbes bis ein ganzes Jahr beschäftigen, und es wird damit bestimmt nie langweilig, denn Köchli führt in den Ragtime-Stil eines Blind Blake ebenso fachkundig ein wie ins Picking von John Hurt oder das Duettspie von Memphis Minnie. Natürlich kann man sich das Buch nur wegen eines besonderen Musikers anschaffen, aber es lädt auch immer wieder eine, die eine oder andere Vorübungen ebenfalls etwas genauer anzuschauen.
Der Autor ist sich des hohen Anspruchs bewusst, wenn er schreibt, dass auch begabte und fleissige Autodidakten «eine Weile beschäftigt» sein werden, wenn sie sich durch die Knacknüsse arbeiten wollen. Somit habe ich in Vorbereitung für diese Rezension nur an der Oberfläche gekratzt dessen, was das Buch bereithält. Aber es reicht, um einzuschätzen, welchen Schatz man hier in die Hände kriegt. Der Fleiss liegt bei jedem selbst, aber hier kriegt man ein Werkzeug an die Hand, um diese Stilrichtungen authentisch zu erlernen.
Im Gegensatz zu anderen Lehrbüchern, etwa Peter Fischers Blues Guitar Rules, ebenfalls aus dem Hause AMA, bleibt hier die Konzentration auf den Fingerstyle des Country-Blues durchgehend. Es gibt hier nichts zu Duane Allman, Albert King oder Jimi Hendrix, aber dafür alles über die Vorbilder dieser Gitarristen, und das in grosser Tiefe und mit viel Sachkenntnis.
Man lernt vieles Neues aus dem Alten, denn das Alte bleibt für uns ja neu. Oder in Köchlis eigenen Worten, seine Einschätzung zum Thema Originalität: «Wer dem Blues wirklich gerecht werden möchte, muss im Hier und Jetzt leben, eigene Geschichten (mit oder ohne Worte) erzählen und den Wunsch haben, spontan, ehrlich und verletzlich zu musizieren. Abkupfern ist nicht das Problem, das haben sie alle getan, von Anfang an. Wichtig ist dabei bloß, dass wir langfristig nicht beim Parodieren stehen bleiben und wir die Quellen unserer Inspiration offen deklarieren. Die Altmeister wurden vom Musikbusiness in der Regel bereits mehr als genug bestraft; das Mindeste, was wir ihnen heute schulden, ist Respekt und ehrliches Interesse an ihrem Werk. Deshalb möchte ich mit diesem Buch nicht nur einen Einblick in die Spieltechniken gewähren, sondern auch einiges über die spannenden Lebensgeschichten dieser Stars erzählen. Es gehört untrennbar zu ihrer Musik.»
Köchli, Richard - . Masters of Blues Guitar Geschichte, Interpreten und Spieltechniken des American Folk Blues / Richard Köchli - . Brühl: AMA, 2010 - . 148 S.; Fotos, Noten, Tabulation, mit Begleit-CD - . ISBN 978-3-89922-138-1. SFr. 39,90.-; € 24,95.-
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