27. Bluesfest Eutin 2016
Das Programm hatten wir in der Vorschau aufgelistet. Dieses Jahr gab es nicht bloss Blues und Soul, sondern auch Tulpen und Rosen zu bewundern. Ende April hatte die Landesgartenschau ihre Pforten geöffnet, die bis in den Oktober dauern wird. Im Gelände der Gartenschau gibt es auch eine Bühne, für welche das Bluesfest zwei Frühschoppen Konzerte eingefädelt hatte, die allerdings unter der Fuchtel der Gartenschau standen, die nicht besonders viel dafür warb. Vielleicht lag es auch an der Kälte, jedenfalls waren beide Konzerte völlig zu Unrecht nicht besonders gut besucht. Die Bühne war allerdings riesig, so dass selbst eine Band mit sechs Personen etwas verloren wirkte.
Das erste zeigte eine gut aufgelegte Kai Strauss Band, die den Blues- und Soulsänger und ehemaligen Drummer der Luther Allison Band, Tommie Harris dabeihatten. Sie bewies ihre Klasse mit einem der besten Acts des Festivals. Die Band wird am 1. Juli 2016 am Summerblues in Basel zu erleben sein. Der zweite Auftritt auf der Gartenschau Bühne gehörte Juwana Jenkins, einer hierzulande unbekannten Sängerin aus Philadelphia, die in Prag lebt. Sie hatte mit der All Star Mojo Band eine solide Gruppe dabei und legte eine bemerkenswerte Show auf und vor der Bühne hin. Dabei imponierte sie mit einer kraftvollen, soulgetränkten Stimme.
Das «reguläre» Festival am Marktplatz brachte den erst 16-jährigen Kalle Reuter mit seiner Band auf die Bühne, auf der er bereits als 13-jähriger auftreten durfte. Inzwischen ein Stück gereift, scheint er zu seinem Stil zu finden. Die Band Mississippi Big Foot um die Sängerin Christina Vierra wurde nach Auftritten im «Ground Zero Club» in Clarksdale gegründet und existiert erst seit Sommer 2015. Sie stand am Anfang einer einmonatlichen Europatournee und hatte in Eutin ihren allerersten Auftritt in Europa mit solidem, modernem Südstaatenblues.
Wellbad aus Hamburg, letztjähriger Preisträger des German Blues Award und drittplatzierte an der European Blues Challenge 2016 (EBC) ist stilistisch schwer einzuordnen. Die Gruppe zeigte Vielseitigkeit und grossen Unterhaltungswert, der in erster Linie auf dem charismatischen Sänger Daniel Welbat und seinen unvergleichlichen und amüsanten Ansagen beruht. Zudem gefällt sein Gesang, der Anleihen bei Tom Waits macht, einem erklärten Vorbild Welbats.
Auch die Travellin’ Brothers aus Spanien wurden mit der EBC bekannt, an der sie 2015 mit dem ersten Platz ausgezeichnet wurden und auch sie sind stilistisch breit aufgestellt, fussen aber im New Orleans Stil. Ihre temperamentvolle Show wurde vom Moderator Ronnie Salewsky als «Party» angekündigt und er traf den Auftritt damit auf den Punkt. Grossartige Unterhaltung bei nicht immer lupenreinem Blues, der in die Beine geht.
Ruhiges Fahrwasser gab es mit der ebenfalls spanischen Musikerin Big Mama Montse. Als eine der bekanntesten Gesichter der spanischen Bluesszene ist sie in verschiedenen Projekten aktiv. In Eutin zeigte sie ein wunderbares, akustisches Soloprogramm mit traditionellen Songs. Ebenfalls akustisch kam die Gruppe 4some Blues um den Schweizer Sänger und Harmonikaspieler Walter Baumgartner daher. Das schweizerisch/österreichische Projekt ist tourt einigen Jahren erfolgreich mit seinem Mix aus Blues, R&B und Swing durch die Lande. In Eutin war die Band eher unbekannt, konnte aber das Publikum rasch für sich einnehmen und legte mit einem enorm groovenden Auftritt einen der besten und bluesigsten Acts des Festivals hin.
Der erfahrene Joey Gilmore hatte aus seiner Band nur den Bassisten Maurice Dukes dabei, die übrigen Mitglieder waren Musiker aus Italien, unter anderem der hervorragende Keyboarder Enrico (Henry) Carpaneto, den man auch mit Deitra Farr, Jerry Portnoy oder Sonny Rhodes kennt und den er auf seinen europäischen Touren stets dabeihat. Der 72-jährige Gilmore musste aus gesundheitlichen Gründen den grösseren Teil der von Southern Blues und Soul geprägten Show im Sitzen absolvieren, was die Qualität seines Spiels in keiner Weise beeinträchtigte.
Der letzte Tag des Festivals brachte die Lisa Lystam Family Band auf die Bretter. Die schwedische Gruppe wurde erstmals 2015 an der EBC einem grösseren Publikum bekannt. Sie hatte dort zwar keinen Preis erhalten, es zeigt sich jedoch auch an diesem Beispiel, wie wirkungsvoll die oft geschmähten Wettbewerbe für den innereuropäischen Austausch und die Bekanntheit europäischer Gruppen in den anderen Ländern sind. Sie zeigten traditionellen Blues, modern gespielt und attraktiv dargeboten. Die anschliessend aufgetretene Band Monkey Junk aus Kanada war vor allem laut und spielte Swamp Blues mit viel rockigem Einfluss.
Ein Höhepunkt, wenn nicht DER Höhepunkt des Festivals war der Auftritt Jason Riccis mit seiner Band The Bad Kind, die seit 2015 existiert. Der BMA Preisträger Jason Ricci ist ein begnadeter Harmonikaspieler und ein aussergewöhnlich intensiver Sänger, der die Gefühle, welche die Texte ausdrücken, auf der Bühne durchlebt. Dazu ist er dafür bekannt, dass der Verlauf seiner Shows schwer vorhersehbar ist und von seiner Tagesform und seiner Stimmung abhängt. In Eutin war anscheinend beides im Lot, denn er überzog seine Show kräftig und so kam das Publikum zu einem Erlebnis der besonderen Art. Hypnotisch, einnehmend und ausdrucksstark kamen alle Songs herüber. Ich kann mich zum Beispiel nicht erinnern, Otis Rushs «Double Trouble» jemals so intensiv gehört zu haben. Die ganze Verzweiflung, die sich in diesem Song ausdrückt und die in vielen Covers zugunsten der Gitarrensoli zum nebensächlichen Refrain wird, brachte Ricci so zum Ausdruck, dass man Gänsehaut verspürte. Seine musikalische Vergangenheit mit frühen Erfahrungen in einer Punk Band sind daran spürbar, dass er keine Scheu kennt, einen Song komplett zu zerlegen und ihn völlig neu wieder zusammen zu setzen. Interessanterweise bleibt dabei der Song immer erkennbar, auch während der Ausflüge in die verwinkeltsten Tiefen seiner Seele. Dass er dabei mit einer betörend sinnlichen Attitüde auftritt, macht seine Gefühle zu den unseren. Darin liegt, neben der Virtuosität seines Harpspiels, die Faszination dieses aussergewöhnlichen Musikers.
Traditionell gibt es am letzten Abend des Festivals eine «Hosted Session». Bei dieser Jam Session, die seit mehreren Jahren von Georg Schroeter und Marc Breitfelder geleitet wird, spielen ganze Bands, Teile davon, oder auch Kombinationen der Musiker, die noch da sind, meist natürlich diejenigen der zwei letzten Tage. Jam Sessions sind immer unberechenbar, haben einen Hang zu grundsätzlich guter Stimmung auf und vor der Bühne, sind aber musikalisch oft durchwachsen. Dieses Mal gab es neben tollen Auftritten in der oben beschriebenen Art ein angekündigtes «Blow Out», auf das man gespannt sein konnte: Neben Jason Ricci war ja ein Harper der Extraklasse auf den Brettern, der bekanntlich 2013 zusammen mit dem Pianisten Georg Schroeter – als erste europäische Band überhaupt - den ersten Preis bei der International Blues Challenge in Memphis gewonnen hatte: Marc Breitfelder. Dazu kam Steve Marriner (Monkey Junk) und Mikael Fall (Lisa Lystam Family Band). Nun, es kam wie erwartet, grossartige Harp Soli und Duette, man inspirierte sich gegenseitig, ohne in einen verkrampften Wettbewerb zu geraten. Die beiden unüberhörbar virtuoseren Ricci und Breitfelder zauberten mit ihren Instrumenten, die beiden anderen standen kaum nach und so wurde dieses Finale zu einer Besonderheit, das man in dieser Form wohl kaum je wieder erleben kann. Als letztes gab es ein sentimentales «Amazing Grace» mit allem, was Platz auf der Bühne fand.
Der umtriebige Kay-Michael Weier hat auch dieses Jahr eine Unmenge von Videoaufzeichnungen vieler Konzerte auf Youtube veröffentlicht, die einen guten Eindruck geben. Leider ist der Ton sehr enttäuschend. Dies ist der Link: https://www.youtube.com/user/foxolino/videos