Interview mit Richard Koechli
BN: Wir finden es grossartig, dass sich endlich jemand mit dem Leben Tampa Reds beschäftigt und diesem Musiker ein Denkmal setzt. Wann hast du ihn entdeckt und was bedeutet er für dich persönlich?
RK: Vielen Dank für euer Interesse! Das war Anfangs der 90er-Jahre; nachdem mich Ry Cooder mit dem Slide-Virus infiziert hatte, wollte ich tiefer tauchen und die Ursprünge dieser Musik ergründen. Die drei wichtigsten Inspirationen fand ich in Blind Willie Johnsons Transzendenz, in Son Houses archaischer Kraft – und eben in Tampa Reds Wärme. Red war für meine Entwicklung absolut entscheidend.
Warum hast du dafür die Romanform gewählt?
Ich will mit meinen Büchern nicht einfach nur historische Informationen vermitteln; ich möchte Lebendigkeit und Intimität erzeugen. Es soll unterhalten und berühren. Natürlich muss man bei einer Biografie so faktentreu wie nur möglich sein, doch letztlich ist bereits die Auswahl der Fakten ein subjektiver Entscheid. Und wenn schon subjektiv, dann lieber gleich in Romanform – das lässt erzählerischen Spielraum, den ich ja letztlich auch dazu benutzte, Tampa Reds unerträgliches Ende quasi umzuschreiben. Die Begegnung mit Anna und Eric, kurz vor seinem Tod, die fand eben nicht statt. Das ist ja der Jammer!
Wie hat Tampa Red deine Spielweise beeinflusst?
Sein Sound und seine melodische Verspieltheit berührten mein Herz, und mit seiner Vielseitigkeit von der Tiefe bis zur Leichtigkeit konnte ich mich wunderbar identifizieren. Sein Vibrato war einzigartig; eindringlich aber nie aufdringlich, elegant aber nie kitschig. Er konnte auch abgrundtief spielen, doch meist war in seiner Musik etwas Zartes, Positives, Humorvolles.
In diesem Nischenmarkt rund um den Blues wird es ein Buch kaum je in die Bestsellerlisten schaffen. Was hat dich dazu bewogen, trotzdem eine Biographie über Tampa Red zu schreiben?
Dieselbe Leidenschaft, wie ich sie als Musiker habe. Schreiben ist für mich geistig existenziell, und deshalb denke ich dabei nicht ökonomisch. Es ist ja nicht nur seine grossartige Musik, es ist auch diese traurige Geschichte seines Abgangs, die mich berührte. Man muss sich das vorstellen: Einer der einflussreichsten Bluesmusiker aller Zeiten verbringt seine letzten Tag als bettelarmer, gebrochener Mann unerkannt in einem billigen Heim – mit seiner Gibson im Koffer unter dem Bett. Wenn das kein Stoff für ein Drama ist ...? Natürlich träumt man als Autor insgeheim immer auch vom grossen Durchbruch, doch wenn ich vernünftig denke, weiss ich, dass ich kaum mehr als tausend Bücher davon verkaufen werde, wenn überhaupt. Immerhin sind dank der erfolgreichen Crowdfunding-Aktion schon mal die gröbsten Produktionskosten gedeckt, das ist wunderbar. Und wenn's gut läuft, überlege ich mir später sogar, das Ganze ins Englische übersetzen zu lassen.
Es gibt bisher keine ausführliche Biographie über Tampa Red, abgesehen von Kurzbeschreibungen à la Wikipedia und auch sonst findet man nur wenig Literatur über ihn. Deine Biographie enthält eine Menge von detaillierten Informationen aus seinem Leben. Wie aufwändig war es, an die Informationen zu kommen?
Das ist Fleiss- und Knochenarbeit. Die Informationen sind wie ein riesiges Flickwerk verteilt, und auch das Internet hilft, an sie heranzukommen. Etliche renommierte Autoren wie Jas Obrecht, Jim O’Neal oder Gérard Herzhaft haben zwar in Bluesbüchern, Linernotes und Zeitschriften über ihn geschrieben oder ihn sogar interviewt – aber alles immer nur bruchstückhaft. Niemand hat bisher seine ganze Lebensgeschichte verfasst. Wissen über Tampa Red ist jedoch genügend vorhanden und zudem in den allermeisten Fällen gesichert; warum das bisher niemand zu einem umfassenden Buch verarbeitete, ist mir ein Rätsel.
Wir wissen alle, dass gute Musiker nicht automatisch auch berühmt werden und berühmte Musiker nicht zwangsläufig gut sind. Trotzdem: Ernsthafte Bluesfreunde befassen sich eigentlich ganz gerne mit der Geschichte ihrer Musik und deren Protagonisten. Wie kommt es deiner Meinung nach, dass jemand wie Tampa Red so wenig Beachtung gefunden hat, selbst bei denen, die einige oder viele seiner Songs kennen?
Es ist ja nicht so, dass er nicht berühmt genug gewesen wäre. Hey, der Mann gab während mehr als 20 Jahren den Ton an, war in den Charts, verkaufte mehrere Millionen (!) Platten, ist in der Blues Hall of Fame, und man kann – im Gegensatz zu Robert Johnson etwa – ziemlich objektiv feststellen, wie entscheidend wichtig er für den Blues und übrigens auch für den Rock'n'Roll war. Doch irgend was lief schief am Schluss; er verpasste das grosse Blues Revival der 60er-Jahre, war als gebrochener Mann nicht mehr interessant, nicht mehr sexy. Und heute hat die Musikwelt genug Legenden; neue braucht's nicht, wir sind davon alle übersättigt. Ich kann das verstehen, es steckt nicht unbedingt ein böser Wille des Musikbusiness dahinter, obwohl das theoretisch möglich wäre. Ich glaube eher, es sind tausend unglückliche Zufälle. Bei Tampa Red hat dieser Mythenzauber einfach nicht funktioniert – auch ich verpasste übrigens viel von ihm. Die Hälfte aller Songs, die ich nun im Buch erwähne, lernte ich erst durch die Arbeit an dieser Biografie kennen. Besser spät als nie ...
Wird es von diesem Buch eine Hörbuchfassung geben?
Ich glaube kaum. Die Hörbuchfassung meines letzten Romans ist kommerziell gesehen ein Misserfolg. Bei einer Biografie zudem kann man keine Kurzfassung machen, das wäre dann wohl eine 6-CD-Box, zudem mit drei verschiedenen Sprechern, weil die Geschichte ja im Grunde ein Dreipersonenstück ist. Wenn ein Sponsor 10'000 Stutz auf den Tisch blättert, warum nicht ...?
Wirst du wie bei «Dem Blues auf den Fersen» Lesungen mit Ernst Süss durchführen?
Das ist nicht geplant im Moment. Die musikalische Lesung mit Ernst Süss ist fantastisch, er ist ein aussergewöhnlicher Sprecher; doch wir haben nicht sehr viel Engagements. Als Event ist so was schwierig zu verkaufen, zu musikalisch für die meisten Theater, und zu theatral für die meisten Musikbühnen. Verflixt!
Bei vielen alten Aufnahmen ist das Lineup nicht oder nur in Fragmenten bekannt. Teilweise ordnest du in solchen Fällen eine Mitwirkung einem bestimmten Musiker zu. Hast du in dich diesen Fällen auf dein Ohr verlassen, oder einfach gründlicher recherchiert?
Nein nein, ich habe keine übernatürlichen Ohren. Ich hab so gründlich wie möglich recherchiert; übers Internet kann man alle möglichen Quellen und Archive anzapfen, es gibt erstaunlich detaillierte Listen mit Details zu all seinen Aufnahmen (von Sammlern und Freaks, sogar aus dem D-Sprachraum, z.B. Stefan Wirz oder Anita Pravits). Im Zweifel, bei widersprüchlichen Angaben, habe ich die aus meiner Sicht (oder eben doch nach meinem Ohr...) wahrscheinlichere Variante gewählt.