Dinu Logoz - John Mayall The Blues Crusader
So many roads, so many names
Das war aber wirklich überfällig. Eine reich mit Anhängen ausgestattete Biographie von John Mayall. Der Schweizer Bluesmusiker Dinu Logoz hat seine langjährige Leidenschaft für den britischen Bandleader John Mayall zum Anlass genommen, diesem Übervater des Britischen Blues ein Denkmal in Form einer englischsprachigen Biographie zu errichten. Logoz beschreibt den beruflichen Werdegang und seine Arbeit als Bandleader faktisch und minuziös. Was das Biographische angeht, so gibt es dennoch auch Kritik an diesem Buch, das neben der vorbildlichen Diskographie eine protokollarische Aufzählung aller Bandformationen und eine detaillierte Diskussion der Instrumente Mayalls bietet, aber den Wissensdurst nach der Person John Mayalls nicht immer umfänglich zu stillen vermag. Dinu Logoz‘ Leistung gebührt höchstes Lob, aber dennoch hat man nach der Lektüre der Biographie bei essentiellen Themen mehr Fragen als davor. Womit sich einmal mehr die Frage stellt, für wen man eine solche Biographie überhaupt schreibt. Und vollkommen unverständlich bleibt die Entscheidung, das Buch ohne Index zu publizieren.
Zugegeben, im Falle der Beatles wäre der Punkt «Personalien» schnell abgehandelt: Pete Best wird 1962 durch Ringo Starr ersetzt, Stuart Sutcliffe gibt 1961 den Bass für Paul McCartney frei, danach mit derselben Besetzung durch bis zur Auflösung der Band! Im Fall von John Mayall und seiner Band The Bluesbreakers ist dieser Punkt erwartungsgemäss weniger einfach abzuhandeln. Dinu Logoz, langjähriger Fan und Bewunderer von John Mayalls Musik, hat aus seinen Notizen und Bildern, aus seinen Alben und Fotos eine Biographie des Gründervaters des elektrischen Britischen Blues kompiliert, in der er es sich zur Aufgabe gemacht hat, sämtliche personellen Permutationen der Bands aufzulisten, die unter der Führung von Mayall spielten.
Logoz, über Jahrzehnte eine feste Grösse im Schweizer Blues und wie der Brite Harp-Spieler, hat damit schon dessen zweite Biographie verfasst, wobei die 1995 erschienene Publikation John Mayall : Blues Breaker von Richard Newman eine nicht autorisierte Biographie ist, deren Autor sich nicht die Mühe gemacht hat, Mayall persönlich zu konsultieren und dessen Biographie entsprechend vernichtende Kritiken erfahren hat. Dinu Logoz hat es hier weitaus besser gemacht. Für seine Studie hat er offenbar mit dem grossen Alten Mann des Britischen Blues kommuniziert, wobei nicht klar ist, wieviel dieser bereit war, zu erzählen. Trotzdem hat man nicht den Eindruck, mehr über die Person, den Menschen John Mayall zu erfahren.
In seinem Buch nähert sich Dinu Logoz dem Britischen Musiker in 16 Kapiteln, von denen 12 das Leben Mayalls und seine Arbeit als Bandleader nachzeichnen (S. 11–182). Kapitel 13 (S. 183–192) nimmt eine Beurteilung der Sangesqualitäten von Mayall vor und listet die Instrumente auf, welche der Multi-Instrumentalist (Keyboard, Gitarre, Harmonika) im Laufe seiner Karriere gespielt hat. Kapitel 14 (S. 193–245) ist eine «Bandography», also eine Liste aller Bandformationen, bei denen Logoz eindrückliche 43 Formationen aufzählt, jeweils komplett mit allen Mitgliedern, den jeweils gespielten Instrumenten und sämtlichen eventuellen Aufnahmen oder Auftritten (summarisch). Kapitel 15 ist die Diskographie (S. 246–266), fein säuberlich kategorisiert nach Publikationen, die von Mayall produziert wurden, solchen, bei denen er Gastmusiker ist und nach Samplern oder Kompilationen. Hinzu kommen Bootlegs und audiovisuelle Medien. Kapitel 16 (S. 266–269) ist eine Bibliographie, die für jene von Interesse sein dürfte, die sich mit der Entwicklung des Britischen Blues und Bluesrock beschäftigen.
Was die Darstellungskonventionen angeht, so werden Personennamen nicht hervorgehoben, und Songtitel sowie Albumtitel gleichermassen stabil und mit Anführungszeichen gesetzt, was eine leicht vermeidbare Quelle von Missverständnissen sein kann. Es bleibt mir ein Rätsel und immer wiederkehrender Grund für Unverständnis, wieso Buchautoren in der heutigen Zeit, wo sie mit Fettdruck, Kursivdruck, Kapitälchen und weiteren Attributen ein reiches und kinderleicht realisierbares Bündel an Möglichkeiten verfügbar haben, den Text zu strukturieren, diese einfach nicht nutzen. Gerade für einen Text, der einen solch hohen Anteil an «name-dropping» beinhalten muss, wäre eine typographische Unterscheidung im Text eine Lesehilfe gewesen.
Das Lesen erfordert sowieso eine hohe Konzentration, denn Logoz konzentriert sich so sehr darauf, die Zu- und Abgänge der Bands zu dokumentieren, und den musikalischen Palmares jede Bandmitglieds zu skizzieren, dass die Biographie streckenweise mehr einer Liste gleicht als einem Fliesstext. Hier als willkürlich ausgewähltes Beispiel ein Zitat aus dem siebten Kapitel, in dem alle Bandmitglieder der Jahre 1971–1973 erörtert werden (S. 116–117, passim), ich zitiere den Text zum Trompeter: «Blue Mitchell rose to prominence as a member of the Horace Silver Quintet in the early sixties. Originally discovered by Cannonball Adderly, Blue soon earned respect as a brilliant trumpet player. He joined the Horace Silver Quintet in 1958 and stayed for seven years. He recorded for Blue Note and produced infectious jazz that was shot through with funk, soul and swing. During the ‘60s, Mitchell played with Jimmy Smith, Bobby Timmons, Jackie McLean, Les McCann, Elvin Jones, Philly Joe Jones, Sonny Stitt, Stanley Turrentine, Richard Holmes, Yusef Lateef, Wynton Kelly, Johnny Griffin, Jimmy McGriff and Grant Green. Aware that opportunities for playing straight-ahead jazz were dwindling, Mitchell became a prolific session man for pop and soul in the late ‘60s, before deciding to tour with the Ray Charles Orchestra from 1969–1971. In 1971, he not only joined Mayall’s new band, but also began recording with Mainstream Records under his own name. He invited Mayall to guest on his debut album ‘Blues Blues’, Mayall contributed harmonica to three tracks. On joining Mayall’s band, Mitchell commented: “It was too good a gig to miss. The money’s great. The atmosphere‘s beautiful. Such a relaxing gig.” In Mayall’s band, Mitchell soon stood out for his clear bluesy trumpet, swinging tone, and lyrical, melodic sound.»
Solche Passagen gibt es zu Dutzenden im Buch, und so wenig fesselnd — wenn auch höchst informativ — sie vielleicht bei der linearen Lektüre des Buches sein könnten, so interessant wären diese Informationen als eine spätere Referenz gewesen. Leider haben weder Autor noch Verlag einen Index für unabdingbar gehalten und so bleiben diese interessanten und enzyklopädisch breiten Informationen im Fliesstext verborgen. Diese sträfliche Unterlassung verringert die Nutzbarkeit des Buches als eine nicht lineare Quelle von Informationen dramatisch und ist — erneut angesichts der Möglichkeiten von Text-Referenzierung im digitalen Zeitalter — völlig unverständlich.
John Mayalls Arbeit als Bandleader wird also umfangreich abgehandelt, Logoz erwähnt jedes Mal aufs Neue die Produktionsbeteiligten und Bedingungen aller Live- und Studioalben. Ebenso bemerkt er jedes Mal den Beitrag John Mayalls als Plattendesigner, denn der aus Manchester stammende und schon früh in die USA übergesiedelte Mayall ist auch als Graphiker an seinen Alben beteiligt. Dabei erfährt man insbesondere in den frühen Kapiteln auch viel über die Musikszene der 1960er Jahre in Grossbritannien, als neben Mayall auch Alexis Korner, Cyril Davies oder Chris Barber Blues- und Jazzbands formten und leiteten. Mayall, der mit Jahrgang 1933 eine halbe Generation älter ist als die vielen in den 1940ern geborenen Musiker der Rolling Stones, Beatles, The Who oder Eric Clapton war in jeder Hinsicht ein Pionier und ohne Zweifel war er in den 1960er Jahren eine zentrale Person der Musikszene in London. Er prägte britischen Bluesrock, seine Bands definierten ein Genre.
Für Leserinnen und Leser, die sich nicht so intim mit Mayalls Schaffen auskennen, wird die hohe Anzahl an selbst verfassten Titeln erstaunen, die er auf seinen Alben einspielt. Der Mann war über Jahrzehnte gleichzeitig Bandleader, Komponist, Texter, Pianist, Keyboarder, Blues-Harp-Spieler und Sänger, hinzu kommt Talentscout und Graphiker; Logoz stellt Mayall als umfangreiches Multitalent dar, und man ist in der Tat mit ihm erstaunt, wenn der Autor kopfschüttelnd bemerkt, dass John Mayall weder jemals eine Nummer eins in den Charts hatte noch von der «Rock’n’Roll Hall of Fame» geehrt wurde.
Von grösstem allgemeinen Interesse dürften selbstredend Kapitel 3 bis 5 sein, in denen die Bluesbreakers mit den wechselnden Lead-Gitarristen Eric Clapton, Peter Green und Mick Taylor besetzt waren. Hier erfährt man in der Tat eine Menge Details zu den wechselnden Line-Ups, manchmal von Gig zu Gig. Darüber hinaus wird der Bruch in Peter Greens Karriere schlüssig und nachvollziehbar erklärt. Die zahlreichen Veränderungen Mayalls späterer Karriere, als er mit grösseren Ensembles und neuen Instrumentierungen experimentierte, sind darüber hinaus gleichermassen gut beschrieben und sehr informativ zu lesen. Hier werden Namen von Musikern genannt, die weniger bekannt sind als die «Guitar Heroes» der 1960er Jahre. Beispielsweise erfährt man von Mayalls Zusammenarbeit mit Don «Sugarcane» Harrison, seine spätere «Entdeckung» Buddy Whittington oder Joe Yuele, dem Mitglied der Bluesbreakers, der am längsten in der Band verweilte. Interessant ist es auch, wenn das Buch erwähnt, dass und wie Carlos Santana das Leben von Walter Trout zu retten vermochte.
Eine Grundhaltung des Bedauerns seitens des Autors klingt durch das Buch immer wieder an, vor allem wenn ein Line-Up nicht in Form einer Aufnahme für die Nachwelt erhalten ist. In diesen Passagen schreibt Dinu Logoz allzusehr aus der Sicht des Sammlers und Harcore Fans. Eine komische Note nimmt das Bedauern des Autors an, wenn es sich sogar auf ein Baumhaus ausdehnt, in dem der jugendliche Mayall sich aufgehalten hat. In einer Bildlegende steht: «Mayall’s fasmous tree house in Cheadle Hulm in 1950, at the back of 23 Acre Lane. Sadly, both tree and house are long gone» (Abbildungsteil 3, zwischen S. 160 und 161). Die schöne Bebilderung des Buches erfolgt durch Einbettung von vier nicht paginierten Bildtafel-Strecken, in der Regel mit informativen Bildlegenden, bei manchen Gruppenbildern entspricht die Reihenfolge der genannten Namen nicht jener der abgebildeten Personen. Erstaunlich ist dabei allerdings, dass die Bilder in keinerlei erkennbaren Ordnung erscheinen. Ist in Biographien häufig die Chronologie grundlegend für die Reihenfolge des Bildteils, so kommen hier die frühesten Bilder zuletzt. Gewisse Bilder haben Schweizer Bezug wie das Gruppenbild des «Monsterkonzerts» 1968 in Zürich.
Wo die Biographie bedauerlicherweise Schwächen aufweist, das ist in der Erklärung der Person John Mayalls jenseits seiner Existenz als Musiker. Sein «Privatleben» wird so gut wie gar nicht erörtert und auch bei der Analyse der Motivationen und Ängste, aber auch einfach der Grundzüge des Charakters seines Studienobjektes beschränkt sich Logoz auf das Nötigste. In den Beschreibungen bleibt Mayall hölzern und die zitierten Statements klingen oftmals wie abgedroschene Phrasen.
Sein Privatleben, das Verhältnis zu den Eltern, Geschwister etc. all diese Dinge bleiben nur in knappen Sätzen abgehandelt. So taucht im Bildteil eine Abfolge von drei Bildern mit Mayalls erster Frau Pamela und Familie (Gary, Tracy, Jackson) auf, von der im Fliesstext wohl die Rede sein muss, aber ich kann mich an keine Passage erinnern, in der familiäre Ereignisse über die schlichte Erwähnung hinaus ginge. Auf der ersten Seite wird erwähnt, dass Mayalls Mutter in den 1960er Jahren mit ihrem Sohn und dessen Bands auf Tour gegangen sei. Dieser Umstand wird später zu keinem Zeitpunkt mehr aufgenommen, weder was gemeinsames Touring angeht noch was die Mutter davon dachte oder wieso es aufhörte. Die Information bleibt in der Luft hängen.
Stärker geht die Studie auf Mayalls zweite Frau Maggie ein, die als Koproduzentin und Koautorin auch am musikalischen Schaffen von John beteiligt war. Doch auch die Passage, in der das Scheitern der zweiten Ehe erwähnt wird, bleibt stichwortartig und nimmt erneut die Fan-Perspektive ein: «In September [2011], Maggie Mayall used her Website to declare that she and John had decided to end their relationship for good; Mayall’s site had not mentioned this at all. Although most fans were still in the dark, it soon emerged that products on Mayall’s Private Stash label were now available exclusively through CD Baby and amazon, but no longer carried by Maggie’s homepage.» (S. 179) Nimmt Mayall eine Scheidung ebenso scheinbar leicht wie die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses mit einem seiner Bluesbreaker oder zeigte er sich erschüttert vom neuerlichen Scheitern seiner Lebensbeziehung? Eine Biographie sollte solche Fragen diskutieren und nicht nur die Ereignisse protokollieren. Als jemand, der Leute für seine Bands in grosser Zahl selbst einstellte und feuerte, hat John Mayall vielleicht interessante Einblicke in Vorstellungen von Treue und Trennungen, doch hierzu findet sich kaum ein Wort.
Auch Mayalls Verhältnis zu Drogen und Alkohol nimmt kaum Raum ein. So wird geschildert, wie er sich entschloss, dem Alkohol zu entsagen und wie er über den Zeitraum von drei Jahren mit dem Trinken aufhörte, was offenbar zuvor ein Problem gewesen sein muss. Bloss wurde sein Alkoholismus zuvor an keiner Stelle problematisiert oder auch nur erwähnt. Solche Dinge mehr Raum zu geben im Rahmen einer Biographie trägt dazu bei, dass man John Mayall als Menschen versteht, weniger «bloss» als Musiker, und das ist doch wohl einer der Gründe, eine Biographie zu lesen. Es ist natürlich möglich und sogar wahrscheinlich, dass John Mayall selbst ein höchst verschlossener Charakter ist, der mit diesen Informationen wenig freigiebig ist, zumal 1979 die gesamte materielle Dokumentation der bisherigen Existenz Mayalls Opfer eines Waldbrands wurde und es somit kaum Fotos oder Aufzeichnungen mehr gibt. In der Biographie scheint es aber weniger ein Mangel an Material zu sein als höfliche Zurückhaltung gegenüber Privatem, das Dinu Logoz nicht intensiv in diese Fragen schauen lässt. Eine Ahnung ermöglicht die Erwähnung von Mayalls Hobby, frühe pornographische Abbildungen zu sammeln, nachdem er 1971 die Sammlung seines Vaters geerbt hatte, das aber auch nur im Kontext mit einem Albumtitel erwähnt wird (S. 128–129).
Was die Lesbarkeit und das Englisch angeht, so ist die Biographie sehr gut geschrieben, es gibt kaum stereotype Redewendungen, der Lesefortschritt ist stetig und relativ rasch. Gewisse Fehler gehen auf das Lektorat zurück und sind nicht die Schuld des Autors: Via Reggio anstelle von Viareggio (S. 137), das «with» ausgelassen bei «together Spences Davis» (S. 51), das «he» ausgelassen bei «Dunbar remembers how became a Bluesbreaker» (S. 58), das «to» ausgelassen bei «Green wanted form an undiluted blues band» (S. 72).
Dinu Logoz hat seine Liebe für John Mayalls Blues und seine unterschiedlichen Formationen unter dem Namen Bluesbreakers hier in Form einer informativen und wohl geschriebenen Biographie der Nachwelt hinterlassen. Damit hat er sich um die Historiographie des Blues äusserst verdient gemacht. Seine Beschreibung des musikalischen Schaffens John Mayalls hat ihre Stärken in der Vollständigkeit der professionellen Aktivität des britischen «Kreuzritters» für den Blues (laut S. 78 eine Selbstbezeichnung seines Auftrags als «crusade to awaken interest in the blues»). Als Schwäche ist die Beschreibung und Analyse der Persönlichkeit zu nennen, die sich allzu sehr beschränkt auf die Protokollierung der Ereignisse. Als Sünde schliesslich ist das Fehlen des Indexes zu beklagen, der das Buch funktional zu einer Enzyklopädie des Britischen Blues und Jazz gemacht hätte.
Dinu Logoz – . John Mayall : The Blues Crusader : His Life, His Music, His Bands – . Zürich: Edition Olms, 2015 – . ISBN 978-283-01228-1 – . € 25.-