Geschrieben von Marc Winter am .

Jimmy Dawkins West Side Chicago Blues DVD

Tiefer Einblick in den West Side Blues

JimmyDawkinsWestSideChicagoBluesDVDONstageBlues ist Leiden, Blues muss weh tun! Mehr als andere Bluesmen stand Jimmy Dawkins (1936–2013) für dieses Credo. Dieser frühe Vertreter des sogenannten «Westside»-Sounds von Chicago war ein Pionier der harten, übersteuerten Version des Blues, doch im Gegensatz zu anderen Westside-Ikonen wie Luther Allison, Otis Rush oder Buddy Guy blieb ihm der grosse Erfolg und die gebührende Anerkennung verwehrt. Nun liegt mit West Side Chicago Blues eine Filmaufnahme vor, auf der ein Bühnenauftritt in Wales und ein ausführliches Interview mit Dawkins zu sehen sind.

Bluesman Jimmy Dawkins, 1936 in Tchula, Mississippi, geboren, war der Blues in die Wiege gelegt. Tchula ist ein County, das nicht im Delta und nicht im Hill Country liegt, und das 2015 als die ärmste Region der gesamten USA bezeichnet wurde. Dawkins ging mit 18 oder 19 Jahren nach Chicago, wo er in einer Fabrik arbeitete und durch die Vermittlung seines Freundes Magic Sam 1969 sein erstes Album veröffentlichte, Fast Fingers. Dawkins’ Spezialität war ein sehr harter Anschlag an den Saiten, und eine schnörkellose Auffassung des Gitarrensolos, kombiniert mit seiner sich hart am Sprechgesang orientierenden Version des Gesangs. Dawkins’ Blues macht keinen «Spass», hier wird der Ernst des Lebens aufgezeigt. Der Mann war auch kein Showman und er verstand es nicht, sich mit dem Publikum zu verbrüdern. Das alles liess ihn vielleicht distanziert und kühl wirken, aber in seiner Musik steckte Leidenschaft und eine individuelle Stimme, eine Persönlichkeit.

JimmyDawkinsWestSideChicagoBluesDVDCoverDie Aufnahmen, die auf der DVD zu sehen ist, zeigt einen einstündigen Auftritt Dawkins am «Dragon Blues Festival» 2000 im walisischen Wrexham. Er war damals der Headliner, aber er tritt nicht mit eigener Band auf, sondern wird durch eine Sessionband begleitet, die ihn so gut es geht unterstützt. Gleichwohl ist zu merken, dass diese Kombination nicht eingespielt ist, und in der ersten Hälfte des Konzerts scheint Dawkins immer wieder irritiert zu Rhythmusgitarrist Sonny Black hinüber zu schauen, an einer Stelle fordert er sie mit «Come On Band» auf. Diese Form des Auftritts war Alltag für einen «Star» im Blues, der bloss mit Köfferchen und Gitarre eingeflogen würde für einen einzigen Gig.

Jimmy Dawkins macht das Beste draus, und er bringt seine Form des Chicago Blues: harter Sound, schneidende Gitarrenklänge aus seiner weissen Gibson ES-335 mit den ikonischen Truss-Rod-Abdeckungen als Ornament auf den beiden Hörnern der Gitarre. Diese Filmaufnahmen sind das seltene Zeugnis eines einzelnen Bluesman und seiner Musik, und das Programm ist eine Mischung aus Eigenkompositionen (Lonely Guitar Man, My Home Chicago) und Covers (I’m Going Down, All Your Love), was aber nicht entscheidend ist, denn jeder Titel von Dawkins wird zum «Original», weil seine Coverversionen nicht viel mehr vom Original übernehmen als den Gesangstext und vielleicht die Tonart.

Die Bluesmen aus dem Delta hatten oft ihre idiosynkratischen Eigenheiten. Bei Dawkins war es etwa die auf der DVD gut zu erkennende Angewohnheit, die Gitarre zwar mit Strap auf der linken Schulter zu tragen, aber die rechte Hand hinter den Gurt zu führen und so die Bewegungsfreiheit des Armes einzuschränken. Dawkins ausgestrahlte Grundhaltung, dass der Blues die Musik der Härten und des Erduldens ist, wird hierdurch körperlich-sinnbildlich zum Ausdruck gebracht.

Nach dem Konzert kommt ein Interview mit dem Musiker, das wohl auf die DVD gelangte, weil man somit als «total running time» 87 Minuten angeben konnte, obwohl das Konzert nur eine knappe Stunde dauert. Doch trotz dieser «Mogelpackung» ist das Interview ebenso ein Highlight wie der Auftritt. Mit im Vergleich zur Singstimme überraschend kieksiger Sprechstimme erzählt Jimmy Dawkins von seinen Anfängen als Musiker, von den Frühzeiten in Chicago und ganz im Sinne der «Oral History» leistet er hier seinen Beitrag zum Verständnis der Geschichte des Chicago Blues in den 1960er bis 1980er Jahren.

Er schildert auch seine ersten Kontakte zur Musik als Junge in Mississippi, wenn Musiker aus New Orleans im Delta herumzogen, und er scheint dabei abgeklärt und distanziert zu seiner eigenen Geschichte. Vielleicht weil er sie schon oft erzählt hat, vielleicht weil er zu selten Interviews gab, um sich wirklich entspannt zu geben.

So ist diese DVD ein direkter und unmittelbarer Einblick in die Bühnenpersönlichkeit dieses einzigartigen Bluesmusikers, aber auf in die Privatperson Jimmy Dawkins, der als Mann im Hintergrund wirkte und dem keine internationale Bühnenkarriere vergönnt war. Es wird aber auch klar, das fhelender Ruhm nicht die Folge fehlenden Könnens ist, sondern mehr mit Glück zu tun hatte. Und Glück und Blues gingen für Jimmy Dawkins sowieso nie Hand in Hand, hat man den Eindruck.

Jimmy Dawkins West Side Chicago Blues DVD

JSP Records JSP5809 ©2016

Jimmy Dawkins Gitarre, Gesang
Sonny Black Rhythm Guitar
Damon Sawyer Drums
Bob Haddrell Keyboard
George Pearson Bass
 

1.

West Side Jammin'

3:37

2.

It's Gonna Be Alright Baby & Everyday I Have the Blues

4:01

3.

All your Love

5:27

4.

That's Alright

5:59

5.

I'm Goin' Down

5:24

6.

Just a Lonely Guitar Man

8:26

7.

Baby, You Don't Have to Go

4:49

8.

My Home Chicago

7:21

9.

Jimmy's Jam

3:47

10.

Rock Me Baby

9:27

11.

Interview with Jimmy Dawkins

30:32