Grammy-Preise absurd
grammy preise - echt jetzt?
Das letzte Wochenende vor dem Football-Superbowl ist traditionell die Zeit für die Grammys, und so wurden letztes Wochenende insgesamt 64 Grammy-Awards verteilt. Und nicht alle gingen an Bruno Mars – auch wenn man durch die mediale Abdeckung des Events einen anderen Eindruck kriegen konnte. Gab es Blues-Awards? Eine Antwort auf dieser Frage erinnert an die wirklich uralten «Radio Eriwan»-Witze: Im Prinzip ja, aber niemand nahm irgendeine Notiz davon. In der Medienlandschaft von heute ist nunmal keine Zeit für eine differenzierte Durchsicht von und Meinungsäusserung zu allen 64 Kategorien. Deshalb tun wir das hier mal für den Blues.
Der Zeitraum zwischen Neujahr und dem Beginn der Fastenzeit ist in Europa und den USA die dunkelste, kälteste und unfreundlicheste Zeit des Jahres. Deshalb werden in dieser Zeit die Award-Shows ausgestrahlt, so dass das Publikum aus der Gemütlichkeit des eigenen Wohnzimmers jeden Sonntagabend in Smoking und Roben gekleidete Stars sehen kann, die in irgendeine Linse winken oder über einen irgendwie eingefärbten Teppich schreiten. Der ehemals existente Unterschied zwischen der Filmindustrie, wo respektable Kunstschaffende sich versammeln und der Musikindustrie mit Paradiesvögeln und Freaks ist lange schon eingeebnet, und so unterscheiden sich die Grammys kaum mehr von den Emmys, Tonys oder den Oscar-Feierlichkeiten.
Eine vollständige Liste aller Gewinner und Nominierten für die Grammys in diesem Jahr gibt es unter dieser Adresse. Das Problem ist, dass die Aufmerksamkeit der Medienverantwortlichen, und die Notwendigkeit, lieber schnell halbe Informationen als später umfassende Informationen zu liefern, dazu führt, dass nur die ersten paar Preise wichtig sind. So kann man diese an einen Künstler oder Künstlerin verteilen (sei das Adele oder wie in diesem Jahr, Bruno Mars) und Nachrichtenportale können dann schreiben, einer oder eine habe «abgeräumt» und wurde somit zum überragenden Sieger erklärt.
Dies führt zu sonderbaren Situationen, wie man erkennt, sobald man die Grammy-Liste etwas kritischer liest. Der 2016 verstorbene kanadische Lyriker Leonard Cohen, erhielt den Grammy in der Kategorie «Best Rock Performance» für sein Album You Want it Darker. Das Album wurde allerdings posthum von seinem Sohn produziert und Cohen hat mit seinen letzten Atemzüge noch Texte für das Album aufgenommen, die erst später mit Musik unterlegt werden sollten. Von einer «Performance» dieser Lieder kann keinerlei Rede sein. Egal, Grammy!
Rap-Sensation The Weeknd erhielt für sein Album Starboy das Messing-Grammophon auf Tropenholz-Sockel in der Kategorie «Best Urban Contemporary Album» verliehen. Das Album ist allerdings im November 2016 erschienen. Wieso es dann 2018 geehrt wird? Egal, Grammy!
Eine weitere Möglichkeit, Bedeutung zu erschaffen liegt darin, jemanden mit mehreren Awards nach Hause zu schicken, indem man davor die Kategorienpalette erhöhte. So hat Country-Sensation Chris Stapleton drei Awards erhalten in den Kateogien «Best Country Song», «Best Country Solo Performance» und «Best Country Album». Dasselbe gilt für die vier Auszeichnungen für Kendrick Lamar («Best Rap Song», «Best Rap Performance», «Best Rap/Sung Performance» und «Best Rap Album»).
Der Blues ist ein Stiefkind bei den Grammys. Das liegt meiner Meinung nach nicht daran, dass niemand Blues-Musik mag oder dass der Blues seine Relevanz eingebüsst hat. Es liegt wohl vielmehr daran, dass der Blues eine sich selbst tragende Industrie geworden ist, bei der treue Fans, eine Vielzahl von Festivals und klar etablierte Vertriebswege zu stabilen Verkaufszahlen führen (zumal Bluesfans vornehmlich CDs kaufen und nicht einzelne Songs streamen dürften). Hinzu kommt: im Blues selbst gibt es eine Reihe von spezifischen Awards. Es braucht also keine zusätzliche Aufmerksamkeit, denn dem Blues geht es soweit gut.
Immerhin ging man in diesem Jahr wieder dazu über, zwei Awards für Bluesmusiker zu vergeben: «Best Traditional Blues Album» und «Best Contemporary Blues Album». In früheren Jahren war diese Unterscheidung auch schonmal aufgegeben worden. Obwohl man sich unschwer weitere Untergruppen vorstellen könnte (beispielsweise «Best Solo Recording» vs. «Best Ensemble Recording» und auch die Bühnenpräsenz könnte man auszeichnen – gerade für die Musiker, die Covers spielen, aber diese so überzeugend über die Rampe schieben, dass eine eigene Kunstform daraus erwächst.
Die Gewinner in diesem Jahr sind: Die Rolling Stones für ihr Album Blues & Lonesome. In der Kategorie «Best Traditional», während Taj Mahal & Keb’ Mo’s Kollaboration Tajmo den Preis erhielt als bestes «zeitgenössisches» Album. Wieso ein elektrisches Bluesalbum traditioneller sein soll als ein weitgehend akustisches, bleibt dabei das Rätsel der Grammy-Ausrichter. Die unscharfe Trennung in Kategorien zeigt sich auch an den unterlegenen Konkurrenten. Gegen die Rolling Stones unterlagen die anderen 4 Nominierten: Migration Blues von Eric Bibb, Elvin Bishop's Big Fun Trio von der gleichnamigen Band, Roll And Tumble von L. Boyce sowie Sonny & Brownie's Last Train von Guy Davis & Fabrizio Poggi. Taj Mahal und Keb’ Mo’ triumphierten über die folgenden Mitbewerber: Robert Cray & Hi Rhythm mit dem gleichnamigen Album, Sonny Landreth mit Recorded Live In Lafayette, Robert Randolph & The Family Band mit Got Soul sowie der Tedeschi Trucks Band mit Live From The Fox Oakland. Aber auch hier stellt sich die Frage, was zu einer unterschiedlichen Kategorisierung der Tedeschi Trucks Band gegenüber den Rolling Stones führte. Die Rolling Stones wurden übrigens bereits 1994 ausgezeichnet für ihr Album Voodoo Lounge, allerdings damals als «Best Rock Album».
Es ist natürlich schön, einen Preis zu gewinnen, auch bluesnews.ch kam ja schon in den Genuss einer solchen Ehre, aber bei den Grammys, wo internationale Aufmerksamkeit und Pressemitteilungen die Folge sind, müssen sich die Bluesmusiker wie Statisten vorkommen, deren Aufgabe es ist, die Halle voll zu machen und den Siegern in den «heissen» Kategorien zuzujubeln.
Und wieso wurden die Stones Sieger? Es mag mit ihrem Album zusammenhängen, das wirklich ein gutes Bluesalbum ist. Aber es könnte auch sein, dass die Jurymitglieder einfach nur dieses Album anhörten, weil es dasjenige der fünf Nominierten ist, das man kennen muss. Mit anderen Worten: Die Grammys sind die wichtigsten Preise der Musikindustrie, aber für den Blues sind spezialisierte Preise wie die Handy-Awards weitaus aussagekräftiger.