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Blues Festival Baden 2017 - Eröffnung

Der Abend versprach Magisches, Geschichtsträchtiges: 1972 fand im Jugendhaus Wettingen beim jungfräulichen Konzert der Band «Freeway 75» sozusagen die Geburtsstunde des Schweizer Blues statt; die Truppe um Dinu Logoz und Robert «Goofy» Egloff war damals die allererste Schweizer Bluesband. 45 Jahre später kommt die Combo nun wieder zusammen und lässt «Freeway 75» neu aufleben, gemeinsam mit prominenten Bluesmusikern der Schweiz – quasi zuhause, auf der Hauptbühne des grossen Bluesfestivals. Baden ist schliesslich längst zu einem der helvetischen Hauptorte des Blues geworden, dank des bis über die Landesgrenzen hinaus renommierten Festival und regelmässigen weiteren vom Bluesclub Baden organisierten Konzerten. Als Schweizer Ableger der berühmten «American Blues Legends» war der Event ursprünglich für das Badener Stadtfest «Badenfahrt» geplant; dort wird er im August dieses Jahres auch stattfinden, doch Susanne Slavicek liess es sich nicht nehmen, die Uraufführung für den Auftakt ihres Bluesfestivals zu verpflichten. Ein glücklicher Entscheid, denn der Abend hielt, was er versprach.

Die schmale, lange Halle im Trafo-Gebäude auf dem Brown Bovery Platz schien auf den ersten Blick nicht sehr geeignet, um eine intime Clubatmosphäre aufkommen zu lassen. Doch Organisation, Dekoration und Tonqualität waren perfekt, das Publikum zahlreich und respektvoll aufmerksam – dem Spektakel stand nichts im Weg. Das typische Setting für derartige Allstar-Livekonzerte: Die Hausband legt den Sound-Teppich, die Special Guests kommen und gehen. Doch das war keine Routine in Baden, es war eine geballte Ladung – mit einem Minimum an Vorbereitung (kurz geprobt wurde lediglich am Nachmittag beim Soundcheck), einem Maximum an schweisstreibender, spontaner und dennoch souveräner Live-Musik. Die Hausband war das Geld allein schon wert: «LL & The Shuffle Kings» beherrschen die Kunst des authentischen Shuffle-Rhythmus' perfekt; Bluesharp-Pionier Dinu Logoz, Schlagzeuger Charly Weibel, Bassist René Eberhard und Pianist Marcel Keckeis leisteten Schwerstarbeit, Bandleader Rolf «LL» Lüthi verlor in keinem Moment die Fäden und spielte während des ganzen Abends beseelt, äusserst geschmackvoll und energiegeladen Gitarre. Schon mal grosses Kino im Dienste der Musik! Entsprechend inspiriert waren die Stargäste, die irgendwie fast alle miteinander verbandelt sind und in der heimischen Bluesszene seit Jahren eine Rolle spielen. Jede und jeder wurde vom Moderatoren-Gespann Logoz/Egloff mit einer Anekdote aus früheren Zeiten begrüsst – und bedankte sich mit drei Songs.

Vielleicht wären nur je zwei Songs im Nachhinein besser gewesen; der Abend wurde am Ende ziemlich lange. Wie dem auch sei; drei Stücke sind für die dramaturgische Gestaltung natürlich ideal, denn jeder Künstler kann so innerhalb seines Beitrages einen kontrastreichen Bogen schaffen. Die Qualität des Abends lag auf jeden Fall in der hohen Dynamik, in der Vielfalt der Kontraste. Während insgesamt drei Sets glich kein Act dem andern. Chris Lange, der grosse Schweizer Pionier (er war 1961 noch vor Eric Clapton und Co. ein europäischer Wegbereiter und machte als erster Bluesgitarrist Aufnahmen mit Champion Jack Dupree) spielte 56 Jahre später – als einziger sitzend und verdientermassen umsorgt von einem Gitarren-Stageroadie – eine mitreissende Lapsteel/Slide-Version von Chuck Berrys «Deep Feeling», Michael Daniels versprühte als einziger schwarzer Sänger gehörig viel Reggae-Feelig, die Bläsersektion «Thunder Horns» unter der Leitung von Mike Maurer brachte überzeugendes Memphis-Feeling, «Freeway 75» schwelgten meisterhaft in Erinnerungen und überraschten mit dem Unikat einer crazy gespielten Blues-Blockflöte (!), Cla Nett (Gründer der legendären Lazy Poker Blues Band) begeisterte mit abgehangenem Dirty-Blues, Swiss Blues Award-Gewinner Walter Baumgartner mit geschmeidigen Songs und edler Bluesharp-Grösse, Lokalmatador Patrik Schneider mit feuriger Saitenkunst, und Boogiepiano-Legende Ray Fein mit humorvollem Party-Groove.

«Doch was wäre der Blues ohne Frauen, was wäre das Leben ohne Frauen ...?» – sinnierten Logoz und Egloff genüsslich vor dem Mikrofon. Die beiden einzigen Frauen auf der Bühne lieferten postwendend die Antwort, sie waren der gefühlsmässige Höhepunkt des Abends: Beim unglaublich dynamischen Feuerwerk von Bluessängerin Yvonne Moore fragte ich mich erstaunt «warum ist die eigentlich kein Weltstar?!» Das sind jetzt keine leeren Worte; natürlich weiss ich seit langem über Yvonnes Grösse Bescheid – doch entweder war das nun (für einmal aus dem Zuschauerraum) für mich eine ungewohnt neue Wahrnehmung, oder dann war sie wahnsinnig gut drauf. Jedenfalls haute sie mich vom Hocker. Ähnlich beim gospelgeprägten Gefühlsgewitter ihrer Kollegin, der preisgekrönten Jazzsängerin Christina Jaccard – fantastisch, man hatte schlicht nicht die geringste Lust, von dieser Wolke herunterzukommen. Weltklasse, die sich zum krönenden Schluss des Konzertes – die Ladies waren seltsamerweise bisher nie gemeinsam auf der Bühne – noch in einem denkwürdigen Duett vereinte: «I just wanna make love to you» von Willie Dixon, mit einem spontan angehängten «It's a man's world»-Ending. Die Liebe kam an diesem Abend tatsächlich in voller Wucht, während vier Stunden in Form von hochkarätiger und tiefer Bluesmusik made in Switzerland. Kompliment! Das Projekt von Dinu Logoz hätte das Zeug zu einer langfristigen Institution mit wechselnder Besetzung. Eine anständige Gage für insgesamt 30 (!) Musiker/innen, diesen erfreulichen Luxus hat Baden sich schon mal geleistet. Nachahmenswert, liebe Veranstalter – nicht wahr ...?